Berührende Geschichte

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fraedherike Avatar

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„Was würdest du tun, wenn du noch einmal vom Anfang beginnen könntest? - Ich glaube, ich würde alles genauso machen, gleich falsch und gleich richtig.“ (S. 184)

Sein ganzes Leben lang hat er nur einem Mädchen jemals seine Liebe gestanden: seiner Kindheitsfreundin Franziska. Das ist nun über vierzig Jahre her, vierzig lange Jahre, in deinen aus der kleinen Franziska die gefeierte Sängerin Fabienne geworden ist, in denen er sich immer wieder in Möglichkeiten, in Beziehungen verrannt hat, in einer Phantasiewelt gelebt und sich aus der realen zurückgezogen hat. Als es zum Wendepunkt seines bisherigen Lebens kommt, ändert sich etwas in seiner Wahrnehmung: Was habe ich in meinem Leben eigentlich erreicht, habe ich es versäumt, zu leben? Als dann Franziska nach all den Jahren wieder in sein Leben tritt, tun sich plötzlich ganz neue Wege auf – und die Hoffnung kehrt zurück.

In seinem neuen Roman „Das Archiv der Gefühle“ erzählt Peter Stamm mit poetischer, klangvoller Sprache, irgendwo an der Grenze zwischen Realität und Fantasie, die Geschichte eines Mannes, der sein ganzes Leben einer Wunschvorstellung gewidmet hat, an der er all die Jahre festhielt, einem Szenario, das sich nie für ihn bewahrheiten sollte, und aufgrund dessen er zum Einsiedler wurde, zurückgezogen, in seiner eigenen, einsamen Welt lebte: „Ich war nicht immer ein Einsiedler, meine Versuche, ein normales Leben zu führen, sind einfach gescheitert, das kann passieren, und niemand ist schuld daran. Inzwischen lebe ich lieber mit meinen Erinnerungen, als dass ich neue Erfahrungen mache, die schlussendlich doch zu nichts anderem führen als zu Schmerz.“ (S. 20)

Ich konnte mich teilweise sehr gut mit dem Protagonisten identifizieren, verstand seine Ängste, seine Standhaftigkeit, an dem, was war, festzuhalten, daran zu glauben, dass es irgendwann wahr werden würde; seine Verträumtheit und die Losgelöstheit von der Welt, wie er vollends in seiner Arbeit, dem Dokumentieren von Gefühlen, von Eindrücken aufgeht und darüber alles vergessen könnte. Stamms reduzierte, aber wunderschöne Sprache unterstützt die Zeichnung des Mannes ungemein, ebenso wie seine mystisch anklingenden Gedankenspiele
potentieller Handlungen, und erzeugt eine umarmende Atmosphäre. Die Geschichte lebt, wo der Plot wahrlich nicht allzu aufregend und umfangreich ist, von ihren Irrungen und Wirrungen, von Rückblenden, die dorthin führen, wo der Mann nun ist: am Scheidepunkt seines bisherigen Lebens und der existentiellen Frage, ob er seine Chance wahrnehmen wird, sein Leben zu verändern.
„Das Archiv der Gefühle“ hat mir wahrlich eine wohlige Zeit bereitet und eine Vielzahl an Ansätzen zur Reflexion über mein jetziges Leben, mein Handeln und meine Entscheidungen darüber hinaus einen wichtigen Mehrwert gegeben.