Fossilien meiner Jugend

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owenmeany Avatar

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An zwei Abenden habe ich dieses Bändchen von knapp 200 Seiten ausgelesen, aber der Nachhall wird noch lange andauern. Peter Stamms Romane vergisst man nicht so schnell, sie werden jedoch nicht jedem gefallen, man muss schon auf einer solchen Welle funken.

Ich persönlich konnte mich schnell identifizieren mit diesem Sonderling, der sinnend vor dem Rätsel seines Daseins steht. Außerdem habe ich alles Verständnis für seine Sammelleidenschaft und die Befriedigung, die Erkenntnisse in einen Thesaurus einzuordnen - es gibt ja selbst heute noch solche Berufe. Aber auch die Entwicklung, die sich gegen Schluss vollzieht, konnte ich akzeptieren.

Nach vierzig Jahren denkt der Ich-Erzähler, der seinen Namen nicht verrät, an eine Schülerliebe mit zwei Namen: Franziska oder Fabienne als Künstlerpseudonym. Wie zwei Königskinder konnten sie zusammen nicht kommen, und eigentlich ist es einem als Leser auf die Dauer nicht mehr so wichtig, welche Dialoge real oder nur in seiner Vorstellung ablaufen, denn wichtig sind am Ende vor allem die inneren Vorgänge. Dieses Oszillieren übt einen magischen Reiz aus bei denen, die sich darauf einlassen.

Vor Jahren hat er einmal ein richtiges Leben geführt mit einem Studium, einem Parisaufenthalt und Beziehungen zu Frauen, die zum großen Teil auch namenlos bleiben. Allerdings zeichnet er eine Chronik der verpassten Gelegenheiten auf: als er erst hinterher von der Abtreibung seines Kinds durch die verflossene Freundin erfährt, macht es ihm gar nichts aus.

Sein pessimistisches Menschenbild bringt er in der Beschreibung der Urgesellschaft zum Ausdruck, die er sich als eine Gruppe von Sammlern einerseits und eine andere von Dieben andererseits vorstellt. Er selber zieht sich immer dann zurück, wenn etwas ernst zu werden droht. Vor seinen Gefühlen hat er Angst, ein intensives Verhältnis scheitert an seiner Entscheidungsschwäche, Gefühlskälte, mangelnder Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

Der Wendepunkt ereignet sich, als sich Fabienne wieder nähert, da kommt er plötzlich mit seiner Lebensaufgabe des Archivierens nicht mehr nach. Zuerst faltet er Origamifiguren aus den Dokumenten und wirft sie schließlich sogar weg.

Stimmungsvoll sind die Leitmotive: Glockenläuten begleitet häufig einen wichtigen Vorgang. Wasser war früher der Schauplatz von Begegnungen mit Franziska und spielt fürderhin oft eine Rolle, nicht zuletzt aber auch in der Dürre wegen des ausbleibenden Regens. Mithilfe eines eher schlichten, unprätentiösen Vokabulars gelingen Stamm überaus einprägsame Bilder. Man erfährt im Laufe des Romans mehr und mehr über die Vergangenheit, aber die innere Realität breitet sich aus, und man muss aushalten, dass das Verschwimmen der Wirklichkeit das Hauptthema der Geschichte ist.