Interessant aber sehr subjektiv!

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„Mitten in der Stadt beschreibt man das Landleben am schönsten“, schrieb der französische Schriftsteller Jules Renard. Das Thema der Landlust und des Landlebens ist derzeit hochaktuell. Viele Bürger flüchten sich in das vermeintliche Idyll der dörflichen Gemeinschaft, getrieben von der Urbanisierung mit ihren steigenden Mietkosten, engen Raumverhältnissen und der allgegenwärtigen Hektik der Großstadt. In seinem Essay „Das Befinden auf dem Lande. Verortung einer Lebensart“ versucht der Publizist Dr. Björn Vedder, seine eigenen Erfahrungen einzuordnen und das Befinden auf dem Land zu erklären. Vedder hat Literaturwissenschaft und Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Bielefeld studiert. Dort wurde er 2008 mit einer Arbeit über Literatur und bildende Kunst promoviert. Der Autor beschreibt in seinem Erfahrungsbericht seine Kindheit in der westfälischen Provinz und sein Leben am Ammersee. Vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erlebnisse beschreibt er die dörfliche Gemeinschaft und versucht, sie anhand philosophischer Thesen auszuwerten und ihre Funktionen zu beschreiben. Dies ist grundsätzlich ein guter Ansatz, der aber leider nicht gut umgesetzt ist. Die ersten beiden Kapitel sind durchaus nachvollziehbar und erläutern gut die Sehnsucht nach dem Land im Bezug auf rechtes und linkes Denken, denn im Endeffekt ist ihnen allen die Flucht aus der Stadt gemein. Die weiteren zwei Drittel des Buches beschreiben Vedders Erfahrungen, und er bewertet sie. Dies ist meiner Meinung nach nicht gelungen, denn Vedders Darstellungen sind extrem subjektiv und zum Teil unnötig elitär. Man hat den Eindruck, dass Vedder sich einerseits nach der Aufnahme in die Dorfgemeinschaft sehnt, die er aber selbst aus politischen und soziologischen Gründen ablehnt. Weiterhin möchte er lieber ein Mitglied der städtischen Gesellschaft bleiben und deren Vorzüge genießen. Vedder kritisiert sich hier auch durchaus selbst, aber im Endeffekt liest sich das Buch entsprechend seiner Einstellung. Im letzten Drittel erläutert Vedder philosophisch sein Handeln und das der Gemeinschaft sowie der städtischen Gesellschaft. Dieses Drittel gefällt mir erheblich besser, da es neutraler und weniger subjektiv gefärbt ist. Das Buch kann dieser Teil allerdings nicht retten. Es bleibt eine ungenutzte Chance, sich mit diesem Thema grundsätzlich auseinanderzusetzen. Dies ist auch auf 161 Seiten gar nicht möglich. Vedders Buch ist somit zwar in gewisser Weise interessant, aber lässt einen doch ziemlich ratlos zurück. Ich habe mich im Nachhinein nicht besser informiert gefühlt als vorher, und mein Interesse an diesem doch sehr relevanten Thema wurde auch nicht gesteigert. Dabei wäre eine Auseinandersetzung mit diesem Thema durchaus relevant, gerade auch für die Politik, um hier ein besseres Verständnis der gegenwärtigen Lebenssituationen zu erhalten. Dies wird nur im gegenseitigen Konsens geschehen und nicht durch Bauernblockaden oder die Einordnung von Menschen als „dämliche Landeier“. Ist das Buch jetzt keine Empfehlung? Jein, denn es macht als eine Art Polemik schon irgendwie Spaß, und Vedder beweist hier schon eine gute Beobachtungsgabe. Ein Essay ist dafür natürlich auch gedacht, aber er soll ja auch aufklären und die Sache in sich betrachten. Dies gelingt dem Werk nur bedingt. Wer allerdings eine ausführliche und eindringliche Analyse erwartet, wird hier allerdings enttäuscht. Was ich hervorheben muss, ist die Arbeit des Harper Collins Verlags. Das Cover finde ich schlicht, aber doch sehr ansprechend, und das Buch macht insgesamt einen sehr wertigen Eindruck. Insgesamt also ein interessantes Buch, aus dem man aber wenig Neues mitnimmt.