Das Beste von allem von Rona Jaffe

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
marionhh Avatar

Von

_Das Beste von allem_ von Rona Jaffe, Taschenbuch: 656 Seiten, Verlag: Ullstein Taschenbuch (11. Mai2012)

Zunächst einmal: Ich habe selten so ein liebevoll gestaltetes Buch in den Händen gehabt, das selbst an den Seiten passend zum glamurösen Leben in New York kleine Bildchen (z.B. von Cocktails und Handtaschen) abgebildet hat. Das Cover passt zum Thema: Eine junge Frau hoch oben über den Dächern von New York, entspannt die Beine am Geländer mit Blick auf die Skyline. Herrlich!

Fünf junge Frauen aus dem Umland oder aus der Provinz, Anfang zwanzig, versuchen ihr Glück in New York. Mary Agnes ist verlobt und spart eisern für ihre Hochzeit. Caroline, die kühle, kluge und ehrgeizige Collegeabsolventin, kann ihren Ex-Verlobten nicht vergessen. Ihre Mitbewohnerin Gregg, die ihr Herz an einen erfolgreichen, aber launenhaften Theaterautoren hängt, von dem sie hofft, dass er sie heiratet. April versucht sich im Showbiz, jedoch erfolglos, flattert von einem Mann zum anderen und landet schließlich überraschenderweise bei einem aus der Provinz. Barbara ist bereits geschieden und lebt mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Tochter in sehr beschiedenen Verhältnissen, macht eine bescheidene Karriere und verliebt sich in einen verheirateten Mann. Sie alle treffen sich beim Fabian-Verlag, wo sie aus unterschiedlichen Gründen einen Job als Schreibkräfte beginnen. Über einen Zeitraum von etwa drei Jahren hinweg beschreibt die Autorin alle Höhen und Tiefen des Lebens.

Die jungen Frauen könnten unterschiedlicher nicht sein, und doch fiebert der Leser mit jeder einzelnen von ihnen mit und hofft, dass sie wirklich nur das Beste für sich findet. Meines Erachtens ist dies sowieso mehr ein Frauenbuch, als Leserin kann man sich deutlich mit den Ängsten und Problemen der Damen identifizieren, auch wenn das Geschehen schon Anfang der 50er des 20. Jahrhunderts spielt. Das liegt höchstwahrscheinlich an der sehr bildhaften Sprache, auch wenn zwischen den einzelnen Perspektiven häufig gewechselt wird, kommt man doch sehr schnell wieder in die einzelnen Geschichten und Erlebnisse hinein, zumal sich diese sehr geschickt und subtil miteinander verknüpfen. Man liest nie etwas doppelt, sondern erfährt das Geschehen aus einer anderen Sichtweise und erhält so noch tiefere Einblicke in die Gefühlswelt der jeweiligen Protagonistin. Nebenbei trifft man auch noch Kolleginnen, Freundinnen oder ehemalige Schul-/Collegefreundinnen der Hauptpersonen, die zumeist in ebendiesen angeblich so erstrebenswerten Zustand der Ehefrau geraten sind und sich nun für etwas Besseres halten.

Die Träume und Wünsche sind deutlich geprägt vom Frauenbild der frühen 50er Jahre. Einerseits klar definierte Geschlechterrollen: Mann verdient Lebensunterhalt, Frau sucht sich möglichst schnell gut verdienenden Mann und heiratet, einen Job hat sie höchstens übergangsweise. Fortan verbringt sie ihr Leben damit, die Familie zu umsorgen und sich wohltätig zu engagieren. Die Sexualität der Frau ist sowieso gänzlich tabu, die Frau geht „unschuldig“ in die Ehe, wer außerehelichen Sex hat ist eine Schlampe, wer geschieden ist oder gar alleinerziehend hat irgendetwas falsch gemacht. Andererseits herrscht nach dem Krieg Aufbruchstimmung. Die jungen Leute, sofern von Haus aus Geld da ist, gehen aufs College und reisen nach Europa. Frauen suchen sich Jobs und versorgen sich selber, suchen sich Wohnungen und gehen in Bars und Restaurants, treffen sich mit Männern. Als arbeitende Frauen müssen sich einige nicht nur mit sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz, Mobbing und ähnlichen Unwegbarkeiten herumschlagen, sie verdienen oft so wenig, dass sie darauf angewiesen sind, sich von den Männern das Essen bezahlen zu lassen. Andernfalls bekämen sie nicht immer eine warme Mahlzeit am Tag. So aufgeklärt, gebildet und modern sie jedoch sind, im Inneren sehnen sie sich alle nach dem einen: Nach dem Traumprinzen, den sie lieben und der sie von ganzem Herzen wieder liebt. Sehr romantisch, aber auch naiv.

Interessant an Rona Jaffes Roman ist, dass sie gleich mehrere Tabus bricht. Sie deckt gnadenlos die geheimsten Wünsche der jungen Frauen auf, nicht nur ihre Gespräche untereinander über Hochzeitskleider, auch – wie schockierend! – über ihre sexuellen Erlebnisse und männliche Qualitäten. So ist der Leser geheimer Zeuge nicht nur von außerehelichem Sex, sondern auch von ungewollten Schwangerschaften, Depressionen, Alkoholexzessen und Drogenmissbrauch. Für uns vielleicht normal, damals möglicherweise – besonders in bestimmten Kreisen - auch, nur wurde darüber noch nie so offen geschrieben. Rona Jaffes Beschreibungen sind aus dem Leben gegriffen, die Protagonistinnen unglaublich authentisch, das macht das Buch auch über die Jahrzehnte hinweg absolut lesenswert.

Nicht jede Handlung kann man nachvollziehen, wie z.B. Gregg zur Stalkerin (den Begriff kannte man wohl damals noch gar nicht!) an ihrem Ex-Geliebten wird und so besessen von ihm ist, dass sie ihn Tag und Nacht belauert und sogar in seinem Müll herumwühlt. Trotzdem leidet man mit ihr und möchte sie am liebsten aufrütteln und ihr helfen. Diese Besessenheit endet tragisch, und der Leser verharrt in Schock und in der Gewissheit, dass es eben im wahren Leben nicht immer ein Happy End gibt. Auch Mary Agnes lebt in ihrer eigenen Welt, vollständig zufrieden damit, die Rolle des Hausmütterchens zu spielen, die die prüde amerikanische Gesellschaft für sie vorgesehen hat. Jedoch spielt sie sie nicht, sie IST die perfekte Ehefrau. Und trotzdem ist vielleicht sie am Glücklichsten, denn sie stellt nichts in Frage und geht voll in ihrer Rolle auf.

Die drei interessantesten Charaktere sind für mich Barbara, Caroline und April. Wie gerne wäre man mit ihnen befreundet! April, das Landei, hat sehr hochfliegende Träume und geht mit großen Augen durch die Welt, überzeugt, dass das Glück nur auf sie wartet. Und doch erlebt gerade sie das Schlimmste, was einer Frau passieren kann. Gefangen in ihren sehr konventionellen Vorstellungen hängt sie sich an einen Mann, der zu oberflächlich ist, um sie zu heiraten. Selbst als er sie zum Schwangerschaftsabbruch zwingt, bleibt sie bei ihm, denn als „gefallenes Mädchen“ will sie nicht enden. Als er sie verlässt, stürzt sie sich in eine Affaire nach der anderen, bricht gewaltsam mit ihrem konservativen Weltbild, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Was ist man froh, dass sie doch noch ihr Happy End findet, und zwar so unerwartet, dass es fast schon lustig ist.

Am sympathischsten sind mir Caroline und Barbara. Barbara lebt allein mit ihrer Mutter und ihrer 3-jährigen Tochter in einer kleinen Wohnung und ernährt alle von ihrem anfangs kümmerlichen Gehalt. Sie macht jedoch eine bescheidene Karriere als Lektorin und ist meines Erachtens somit die modernste der Frauen: Alleinerziehend, hin und her gerissen zwischen ihrer Karriere und ihrem Anspruch, den Job perfekt zu machen, und ihrer Mutterrolle. Geplagt von Schuldgefühlen muss sie die Tochter zur Mutter geben, damit sie sich mit Kunden auf ein Essen oder einen Cocktail treffen kann. Sie hat zwar auch ihre Dates, hat es aber mit einem Kind natürlich besonders schwer, einen Mann zu finden, der die Verantwortung für alle drei zu übernehmen bereit ist. Ausgerechnet sie, die Stille, Bescheidene, Korrekte, verliebt sich in einen verheirateten Mann, der auch noch so ehrlich und fair ist und sie nicht kompromittieren will und daher beschließt, dass sie sich nicht mehr sehen dürfen. Dass es dann doch ein Happy End gibt, ist völlig überraschend, und wem würde man es mehr gönnen als Barbara!

Auch Caroline gönnt man nichts mehr als die Erfüllung ihrer Träume. Auch sie macht Karriere und wird Lektorin, dabei hat sie den Job nur angenommen, um weit weg zu sein von zu Hause, wo sie alles an ihren Ex-Verlobten Eddie erinnert. Sie versucht sich abzulenken, um nur nicht mehr an ihn und seine Frau zu denken. Auch sie kommt aus einer recht konservativen, gut bürgerlichen Familie, ihre Mutter will sie nur gut verheiraten, ob da Liebe mit im Spiel ist, ist völlig irrelevant. Caroline bleibt zunächst kühl und distanziert, eine gute Freundin für April und die anderen, die Trösterin und Verständnisvolle, jedoch hart zu sich selbst. Sie flüchtet sich in ihren Job und ihre Verabredungen, ohne wirklich etwas zu fühlen. Nur kurz und im Geheimen gönnt sie sich die Erinnerung an ihren Ex und die Erkenntnis, dass sie ihn noch liebt. So baut sie sich ein Leben auf, das in ruhigen Bahnen verläuft. Bis ihr Ex auftaucht. Die beiden stürzen sich in eine leidenschaftliche Affaire, Caroline schwebt auf Wolken – bis sie erkennt, dass Eddie nicht die Absicht hat, seine Frau zu verlassen und stattdessen sie zu heiraten. Er besitzt die Dreistigkeit, ihr vorzuschlagen, sie solle als seine Geliebte mit ihm kommen, er versorgt sie, und sie hat zu seiner Verfügung zu stehen, wann immer er will! Zum Glück für Caroline und dem entsetzten Leser findet Caroline zu ihrem Stolz zurück und lehnt dies ab. Dass ausgerechnet der schwache und dabei so dreiste Eddie dann das letzte Wort im Roman hat, schmälert das ansonsten sehr schöne und intensive Lesevergnügen etwas. Als Romantikerin bin ich jedoch davon überzeugt, dass irgendwann auch Caroline ihren Traumprinzen finden wird!