Bleibt leider unter den Möglichkeiten des eigenen Arrangements

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Raffiniert: E.O. Chirovici weiß genau, dass man den weißen Hai nicht in den ersten Szenen zeigen darf, sondern ihn sich für einen wohl kalkulierten späteren Zeitpunkt aufheben muss. Bis dahin sieht man nur die Rückenflosse und lässt sich von der Musik in immer schnellerem Tempo jagen. In „Das Buch der Spiegel“ ist der weiße Hai das Buch von Richard Flynn, in dem er mit seinen Weggefährten abrechnen will, die Flynn vor 25 Jahren umgaben, als der bekannte Psychologieprofessor Joseph Wieder ermordet wurde. Wer ihn ermordete? Wird nicht gesagt, nur versprochen. Warum? Musste selber raten! Wer noch? Da kämen so ein paar in Betracht, das Haifischgrinsen ist vielen zuzutrauen. Was Flynn selbst investiert hat? Erfährste nur, wenn das Manuskript zu Ende liest.

Eben das würde der Literaturagent Peter Katz gern, doch Teil 2 des Manuskripts fehlt, und als Katz zu Flynn fährt, ist dieser just verstorben. Jede Menge Haifischflossen … Die Zahl der Verdächtigen ist groß, sinistere Vergangenheiten lauern hinter jeder Ecke. Das Opfer Joseph Wieder ist womöglich in militärische Psycho-Experimente verwickelt, es geht um Gedächtnis und die Manipulation von Erinnerung - alles geeignet, um jede Menge doppelter Böden in die Handlung einzuziehen. Katz ist ein guter Ermittler und spürt den Fakten im Romanmanuskript nach, aber dann …

Mich hat Chirovicis kriminalistischer Roman am Ende enttäuscht, weil mir ab der Hälfte, also kurz nachdem die Faktenlage zum Flynn’schen Romanfragment zusammengetragen worden war, das ganze Konstrukt ins Konventionelle abzurutschen schien. Das ist umso bedauerlicher, weil mit Jospeh Wieder und seiner Meisterschülerin Laura Baines zwei wirklich zwielichtige Figuren eingeführt worden sind, die zu durchschauen man sich so richtig vornimmt - von wegen Erinnerung manipulieren und im Hirn herumpfuschen und ähnlichen Möglichkeiten: Dem „Spiegel“ aus dem Romantitel zu seinem Recht verhelfen, die Handlung hin- und herzuwerfen und die Sache mal richtigrum, mal spiegelverkehrt usf. darzustellen. Mir erging es mit dem Roman wie Peter Katz: Es war so lange fesselnd, wie das Ende des Manuskripts (der weiße Hai) nicht sichtbar war. Aber je konkreter alles wurde, desto mehr schrumpfte der weiße Hai zur Makrele.

Nichtdestotrotz imponiert mir der Aufbau des Romans, in dem drei Ermittler zu Wort kommen und in dem die eigentliche Geschichte sich nur in feinen Schichten entblättert. Vielleicht bin ich auch selbst schuld, dass ich mir nach dem Entrée in das Arrangement des Romans einen viel zu großen Hai mit viel zu scharfen Zähnen vorgestellt habe und deshalb enttäuscht war. Viel eher aber nehme ich an, dass ich richtig liege, wenn ich annehme, dass Chirovici deutlich hinter seinen Möglichkeiten geblieben ist. Schade.