Über die Macht der Erinnerungen

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Bücher sind mehr als bloße Geschichten – sie fungieren als kollektives Gedächtnis ihrer Zeit. In ihnen erleben wir Geschichte, erinnern uns, lernen Neues. Doch was geschieht mit all jenen Erinnerungen, die nie zwischen Buchdeckeln festgehalten werden? Was, wenn ein Ereignis in der Wahrnehmung des einen völlig anders aussieht als in der des anderen? Wer bestimmt dann, welche Version der Geschichte die „richtige“ ist – und nach welchen Maßstäben?

Hayley Gelfuso geht diesen Fragen ebenso klug wie unterhaltsam nach. Sie zeigt, wie subjektiv unsere Erinnerung ist, und stellt zur Debatte, was mit gelebten Leben und ihren Geschichten geschieht, wenn niemand mehr da ist, der sie bewahrt. In der melodramatischen Liebesgeschichte von Lisaveth und Ernest, die bereit sind, ihr Leben und ihre Zukunft zu riskieren, um bedrohte Erinnerungen zu retten, verhandelt der Roman letztlich die grundlegende Spannung zwischen individueller Freiheit und dem Wohl der Gemeinschaft – und die Frage, wer darüber urteilen darf.

„Das Buch der verlorenen Stunden“ – Lisaveths Buch – wird dabei zur Metapher für das Leben selbst: für die Kostbarkeit jeder einzelnen Stunde, vor allem jener, die wir mit Menschen verbringen, die wir lieben. Zugleich steht es für die Unsterblichkeit von Erinnerungen und Geschichte – und für die Bedeutung jedes einzelnen Moments.

Gelfusos Roman ist kein klassischer Fantasy-Titel. Vielleicht lässt er sich am ehesten der Urban Fantasy zuordnen, mit Anklängen an Science-Fiction, denn der „Zeitraum“ – ein Raum, in dem die Zeit selbst existiert – scheint bestimmten wissenschaftlichen Theorien zu folgen. Vor allem aber erzählt das Buch eine große Liebesgeschichte zweier Menschen, die allen Widrigkeiten zum Trotz immer wieder zueinanderfinden. Für Spannung sorgt ein Hauch von Spionage-Thriller in der Ära des Kalten Krieges. Doch beginnt alles viel früher: während des Nationalsozialismus in Deutschland, in der Reichskristallnacht in Nürnberg, wo ein jüdischer Uhrmacher seiner Tochter die Legende der Zeithüter erzählt – bis harte Schläge gegen die Tür seiner Werkstatt hämmern.

Die Geschichte ist durchweg spannend erzählt und überrascht mit gelungenen Plottwists. Einige Passagen wirken jedoch etwas langgezogen – besonders der Abschnitt, in dem Lisaveth den Zeitraum zum ersten Mal wieder verlässt, verliert etwas an Tempo. Das Ende dagegen ist wunderbar versöhnlich: Es schließt alle offenen Fäden und lässt keinen Punkt ungeklärt, was ich sehr mochte.

Weniger gefallen hat mir allerdings, dass ich vom Verlag lediglich ein Vorabexemplar erhalten habe. Dieses kam ohne Schutzumschlag, ohne das geprägte, farbige Cover und enthielt zudem einige Textfehler. Das fand ich tatsächlich ein wenig enttäuschend.