Ein unbequemes Buch

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Laline Paulls „Das Eis“ beginnt damit, dass vor einem durch die Arktis kreuzenden Schiff beim Kalben eines Gletschers eine Leiche auftaucht. Die Leiche ist der Umweltaktivist Thomas Harding, der vor 3 Jahren bei einer Expedition mit seinem Studienfreund und Geschäftspartner Sean Cawson verschwand. Die beiden wollten eine Lodge auf Spitzbergen eröffnen, die aber nicht nur dem Tourismus, sondern auch dem Schutz des Nordmeers dienen sollte. Die Verhandlung vor Gericht legt den Verdacht nahe, dass Seans und Toms Vorstellungen die beiden entzweit haben und Sean zum Mord an Tom verleiteten. Konnten die beiden Naturschutz und Profitgier, Entdeckergeist und Faszination für die Arktis nicht mehr vereinbaren?

Was ist „Das Eis“? Ein Krimi bzw. Thriller, das ist offensichtlich, denn es geht auf die Aufklärung, wie Tom ums Leben kam. „Das Eis“ ist aber noch mehr, denn Laline Paull legt mit ihrer Geschichte den Finger in die Wunden unserer Politik, unserer Gesellschaft, unserer Gier – und zwar jedes einzelnen von uns. Das ist schmerzlich, denn man beginnt sein Handeln zu hinterfragen: Was trägt jeder von uns dazu bei, dass das Eis in der Arktis schmilzt, dass sich unser Klima erwärmt, dass Politiker über die wirtschaftlichen Chancen neuer Schifffahrtsrouten schwadronieren, Tiere aussterben und wir so eine Erde hinterlassen, die mal reicher war? Doch was genau macht es aus, dass die Lektüre des Buch so tief in einem bohrt? Ich vermute, es ist die Verknüpfung von Fiktion und Realität und das ohne erhobenen Zeigefinger: Man ahnt, dass das Szenario, das Paull aufzeigt, nicht in allzu ferner Zukunft liegen dürfte. Zugleich wird durch die fiktive Geschichte um die beiden Freunde gezeigt, wie Freundschaften durch Geld, Gier, Intrigen und Verrat korrumpiert werden und wie sich Persönlichkeiten verändern. Hinzu kommt, dass das Buch die stilistischen Möglichkeiten einer erfundenen Geschichte ausschöpft und diese mit eingewebten historischen Berichten von Arktisexpeditionen kontrastiert. Das klingt nach Höchstpunktzahl … nicht ganz, denn dazu war manche Schilderung ein wenig langatmig – und manche Erkenntnis dann eben doch sehr „unbequem“.