Profit regiert die Welt

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marapaya Avatar

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Gibt es auf unserer Erde überhaupt noch ein einziges unberührtes Fleckchen? Einen Ort, der noch nicht entdeckt, ausgebeutet und durch Menschenhand verformt worden ist? Bisher dachte ich immer, der Nord- und Südpol ist so unwirtlich, dass sich nur wenige Zivilisten dorthin aufmachen, um ihr Glück zu finden. Doch der Klimawandel führt dazu, dass sich auch das ewige Eis verändert und allmählich ganz schlicht und einfach wegschmilzt. Damit wird auch dieses Gebiet erschließbar und vom Menschen einverleibt.
Das Eis von Laline Paull setzt sich mit dieser Thematik auseinander. Was bei ihr wie Zukunftsmusik in 20, 30 Jahren klingt, siedelt sie allerdings in der ganz nahen Zukunft an: 2020. Sean Cawson muss sich nach 5 Jahren mit einem Unfall auseinandersetzen, bei dem sein Freund Tom in der Arktis umgekommen ist und seine Leiche aus dem Gletscher nie geborgen werden konnte. Durch die Klimafolgen gab das Eis in Spitzbergen nun aber den Freund unverhofft frei und die englische Krone untersucht den Unfallhergang nun offiziell und vor Gericht.
Was sich erst wie ein spannendes Abenteuer in eiskalten Gefilden anlässt, entpuppt sich bald als Geschichte rund um zwei Freunde, die besessen von der Arktis und den todesmutigen arktischen Entdeckern aus dem 19. Jahrhundert sind und unbedingt auch selbst in das ewige Eis aufbrechen wollten. Jahrzehnte später ist der eine Greenpeaceaktivist und der andere ein reicher Unternehmer. Sie ergreifen die Chance zusammen mit anderen Investoren ein Schlüsselstück der Arktis zu erwerben. Beide mit der Absicht, den Nordpol zu schützen. Bis dieser furchtbare Unfall in der Gletscherhöhle passiert.
Laline Paulls Sicht ist ganz dicht dran an Sean Cawson. Doch Sean ist erstens keine wirklich sympathische Figur und führt zweitens auch kein spannendes Abenteurerleben. Wir lernen ihn kennen, als er die Nachricht erfährt, dass sein Freund Tom oder vielmehr dessen Leiche oben am Midgardfjord durch den Kalbungsprozess des Gletschers freigegeben wurde. Da ist er Vorstandsvorsitzender von dem Unternehmen am Midgardfjord und Gründer von wer weiß wie vielen Clubs, doch eigentlich hat er Leute, die für ihn arbeiten und scheint selbst keiner richtigen Tätigkeit mehr nachgehen zu müssen. Geschieden, verkracht mit der Familie, an seiner Seite eine bildschöne, junge, eiskalte Karrierefrau und verblendet von seiner eigenen vermeintlichen Wichtigkeit. Durch das Auftauchen von Toms Leiche wird ein Prozess in Gang gesetzt, der hinter die Kulisse von Seans Persönlichkeit und vor allem seinen Geschäften blickt. In vielen Rückblenden zieht Laline Paull allmählich alle Fäden zusammen und enthüllt das große Ganze.
Doch bis zur großen Enthüllung ist es ein mühsamer Weg. Die Geschichte brauchte sehr lange, um mich einzufangen. Und dabei ist Paull eine gute Erzählerin. Doch der Zauber, der mich bei ihren Bienen sofort packte, entfaltet sich im Eis einfach nicht. Da sind die Auszüge aus Berichten der vielen Polarentdecker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die sie jedem Kapitel voranstellt. Sie bilden einen krassen Kontrast zu der verkopften Story um Sean Cawsons Aufstieg an die unternehmerische Weltspitze. Sind in sich spannend und schockierend zugleich, enthüllen sie doch in der Gegenüberstellung, wie sehr sich die Welt schon verändert hat und wie wenig noch von dieser ursprünglichen menschenfeindlichen Arktis vorhanden ist. Doch sie ziehen mich als Leser auch immer wieder aus der eigentlichen Handlung raus. Nach jedem Kapitel ein Bruch, eine neue kurze Anekdote aus der guten alten Eiszeit und dann zurück in die neurotische, narzisstische Lebenswelt von Sean, Martine und Joe Kingsmith. Das Finale ist überraschend und vorhersehbar zugleich. Zurück bleibt nur das Fazit, dass wir Menschen nicht aufzuhalten sind – wir wollen die Erde unbedingt zerstören, einfach nur, weil wir es können.