Vom Eis und der Freundschaft

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Ich finde alte Weltkarten, vor allem Radkarten, unglaublich faszinierend. Das fängt schon damit an, dass Menschen im allgemeinen einen Weg gefunden, Himmelskörper, Landschaften und vieles mehr mittels Kartografie darzustellen, gleichzeitig kann man anhand dieser Karten aber auch nachvollziehen, wie mehr und mehr die Welt erforscht und vermessen wurde… und mittlerweile sind wir an einem Punkt, wo man mithilfe von Google Maps nicht nur die normale Kartenansicht zurate ziehen kann, sondern dank Streetview quasi durch die wirkliche Landschaft reisen kann. Aber obwohl fast alles nur wenige Klicks für uns entfernt ist – manche Orte oder Naturschauspiele bewahren sich ihre Faszination. Gerade, wenn diese durch Umwelteinflüsse gefährdet sind oder ein Extrem darstellen. Genau so ein Ort steht mit der Arktis im Mittelpunkt von Laline Paulls Roman Das Eis.

FREUNDSCHAFT
Sean Cawson und Tom Harding sind recht unterschiedliche Männer, die dank ihrer geteilten großen Liebe für die Arktis in jungen Jahren zu besten Freunden geworden sind. In ihren jeweiligen Gebieten sehr erfolgreich -Sean als Geschäftsmann, Tom als Umweltaktivist- kommen sie für ein gemeinsames Geschäftsprojekt mit ein paar anderen Personen zusammen, welches vorrangig dem Schutz der Arktis dienen soll. Doch von der letzten gemeinsamen Expedition kommt nur Sean zurück und der Leichnam des verschollenen Tom wird erst drei Jahre später vom Eis freigegeben. Für den Leser stellen sich gleich zu Beginn viele Fragen: Was ist auf dieser Expedition geschehen? Verfolgt das Geschäftsprojekt wirklich nur ehrbare Ziele? Welche Konsequenzen hat das Eingreifen des Menschen in gewisse Bereiche? Und wen kann man in dieser Geschichte eigentlich trauen?

AUCH KNUD RASMUSSEN UND PETER FREUCHEN HABEN GELERNT, WIE MAN SO ETWAS MACHT. DIE ZWEI WAREN BESTE FREUNDE, GENAU WIE ER UND TOM. RASMUSSEN UND FREUCHEN, CAWSON UND HARDING. | SEITE 298
NATURSCHUTZ

Zwar spielen relativ wenige Abschnitte des Buches tatsächlich in der Arktis, aber diese ist stets im Buch präsent. Nicht nur Sean und Tom wollen diese Landschaft schützen, sondern auch einige der Nebencharaktere hegen eine tiefe Bewunderung und Liebe für diese – ganz zu schweigen von dem Potential, welches neue Handelsrouten durchs Eismeer und Bodenschätze in dieser Region bedeuten könnten. Dieser Widerspruch wird zum einen sehr gut durch die Freundschaft der beiden Männer verkörpert, zum anderen unterbricht Paull die Geschichte zwischen den Kapiteln immer mit Ausschnitten aus Berichten von Arktisforschern/-reisenden vergangener Tage. Gerade letztere fand ich sehr faszinierend, wenngleich sie mit der eigentlichen Geschichte außer dem Schauplatz in keinem Zusammenhang standen.

VERRAT
Paull lässt sich viel Zeit, um ihre Figuren und die Verhältnisse zwischen ihnen zu zeichnen. Fast schon zu viel Zeit, denn wirklich los geht es eigentlich erst ab der Mitte des Buches: Eine gerichtliche Untersuchung soll feststellen, ob ein Gerichtsverfahren eingeleitet werden soll oder man Toms Tod als Unfall deklarieren kann. Stück für Stück erfährt man, was bei der letzten Expedition der Freunde geschah, wobei die Gegenwart immer von Flashbacks unterbrochen wird. Als Leser erlebt man Seans Perspektive, welcher ein doch recht schwieriger Charakter ist. Mit ihm bin ich nie wirklich warm -ha!- geworden und fand ihn viel mehr unsympathisch bis zum geht nicht mehr. Aus einem mir nicht ganz verständlichen Grund versucht Paull ihm auch eine 180° Wendung in den letzten Kapiteln zu verpassen, die einfach furchtbar kitschig und unglaubhaft wirkt.

„DER ÜBERLEBENDE IST SELTEN DER HELD“, SAGTE SAWBRIDGE. „WIR MÜSSEN GROSSE VORSICHT WALTEN LASSEN.“ | S. 306

Der Aspekt des Umweltschutzes ist zwar in der Geschichte verankert, allerdings ohne je so richtig in die Tiefe zu gehen. Ja, weiße Weihnachten werden seltener, aber was für negative Aspekte hat der Rückgang des Eises noch? Da das Thema der Autorin am Herzen zu liegen scheint, hätte ich mir da etwas mehr gewünscht, gerade, da die Sichtweise der Geschäftsleute doch sehr stark herausgearbeitet wurde. Ein paar Szenen waren durchaus gelungen und sind solche, die im Kopf bleiben – zum Beispiel der Anfang auf dem Kreuzfahrtschiff oder Seans Kanufahrt – aber leider konnte mich Das Eis in seiner Gänze nicht überzeugen.