Eskalierendes Leichenaufkommen

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buecherfan.wit Avatar

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Der amerikanische Autor John Hart hat sich mit bisher drei Romanen einen Namen gemacht und zweimal hintereinander die höchste Krimiauszeichnung, den Edgar Allen Poe Award, gewonnen. Deshalb wird sein vierter Roman “Das eiserne Haus” von den Lesern mit Spannung erwartet.

Zwei Jungen werden als Babys an einem eisigen Bach ausgesetzt. Sie werden rechtzeitig gefunden und wachsen im Waisenhaus auf, dem Eisernen Haus aus dem Titel. In dem Haus sind auch junge Kriminelle untergebracht, und das Leben der Kinder ist die Hölle. Die Brüder sind sehr unterschiedlich. Michael, der zehn Monate ältere, ist stark, eine Kämpfernatur. Er beschützt Julian, den jüngeren vor seinen brutalen Peinigern im Heim. Eines Tages ist Julian den fünf Verfolgern schutzlos ausgeliefert. Als er später den Anführer allein antrifft, tötet er ihn mit einem Messer. Um seinen Bruder zu schützen, nimmt Michael die Schuld auf sich und flieht. Wie es der Zufall will, sollten die Jungen an dem Tag von der reichen Senatorengattin Abigail Vane zwecks Adoption abgeholt werden, aber Michael ist nicht mehr auffindbar. An dieser Stelle trennen sich die Wege der beiden. Julian wächst behütet in der Senatorenfamilie auf, Michael schlägt sich auf der Straße durch. Er wird schwer verletzt von einem Gangsterboss aufgefunden, der ihn aufnimmt und von dem Profikiller Jimmy ausbilden lässt. Michael wird ein exzellenter Auftragskiller, den die Straße fürchtet. Zwanzig Jahre später verliebt sich Michael in Elena. Da Elena ein Kind von ihm erwartet, beschließt er auszusteigen und ein neues Leben zu beginnen. Der Alte, sein Ziehvater, lässt ihn gehen, aber alle anderen werden sich nach dem Tod des Alten an seine Fersen heften, um ihn zu töten. Bei einem letzten Treffen erlöst er den todkranken Alten von seinen Schmerzen und muss sich den Weg aus dem Haus freischießen. Seine Feinde bedrohen nicht nur Elena, sondern sie wissen auch von der Existenz des Bruders. Michael versucht beide zu schützen. Das ist der Beginn einer rasanten Handlung mit vielen Wendungen und immer neuen Komplikationen.

John Hart knüpft in verschiedener Hinsicht an seinen vorigen Roman "Das letzte Kind" an. Wieder zeigt er Kinder in unglaublich schrecklichen Lebensumständen, die sehr viel Stärke zeigen müssen, um zu überleben und sich zu befreien. Das Thema Familie ist dem Autor offensichtlich ungeheuer wichtig. Familienbande, Blutsbande sind so stark, dass auch eine jahrzehntelange Trennung nichts an der tiefen Verbundenheit ändert. Michael liebt seinen Bruder Julian, für den er sich noch immer verantwortlich fühlt, für den er wie vor dreiundzwanzig Jahren alles in Ordnung bringen will. Abigail Vane hat ihrem labilen Adoptivsohn die Liebe und Unterstützung gegeben, die er brauchte, um ein überaus erfolgreicher Kinderbuchautor zu werden, aber ohne ihre Liebe und die seines Bruder würde er noch immer zerbrechen.

Aber es gibt auch schlechte Mütter in diesem Roman, durch und durch verkommene, grausame Frauen, die ihren Hass und ihre Verbitterung an ihren Kindern auslassen, sie jahrelang schwer misshandeln und ihre Seelen zerstören. Kinder aus solchen Familien benötigen eine sehr große mentale Stärke, um trotz aller Beschädigungen irgendwann ein normales Leben zu führen.

Hier kommt das zweite wichtige Thema des Romans ins Spiel. Alle Figuren des Romans müssen immer wieder Entscheidungen treffen und mit den Folgen leben. Meist entscheiden sie sich für den schweren Weg. Das gilt für Michael genauso wie für Abigail Vane oder die junge Victorine Gautreaux, die Julian liebt. Es gibt immer wieder Türen, durch die man in ein besseres Leben gehen kann. Unabhängig von der Vergangenheit kann jeder durch eine Entscheidung seinem Leben eine andere Wendung geben. Auch das hat Gangsterboss Otto Kaitlin seinen geliebten Ziehsohn gelehrt: Man ist mehr als das, was man tut. Letztlich ist es die Entscheidung für die Liebe, die Rettung und Erlösung bringt.

Der Roman ist in Bezug auf die Themen und die Charaktere komplexer als die Vorgänger. Seine Personen kommen aus allen Schichten. Zu den behandelten Themen gehören Familie, Herkunft und Identität, Schizophrenie, Leben im ländlichen North Carolina, Erpressung, Korruption und Mord und schließlich die Welt des organisierten Verbrechens in New York.

“Das eiserne Haus” ist ein beeindruckender literarischer Thriller. Er überzeugt durch einen raffinierten Plot, dessen Wendungen zum großen Teil nicht vorhersehbar sind, mit sehr gut ausgearbeiteten Charakteren, wobei der überaus sympathische Ex-Killer Michael nicht die geringste Leistung des Autors ist. Der Roman hat sehr starke Momente, die lange im Gedächtnis bleiben. Allerdings ist "Das eiserne Haus" nichts für Empfindliche, denn es gibt ein "eskalierendes Leichenaufkommen" (S. 456). Ich hätte dem Autor auch ohne detaillierte Folterszenen abgenommen, dass der Killer Jimmy ein durchgeknallter, sadistischer Psychopath ist, extrem grausam und abgrundtief böse. Zugegeben, die Beschreibung exzessiver Gewalt hängt mit der Einbeziehung mafiöser Strukturen zusammen, aber ein Roman wie “Das letzte Kind“, der ohne ein solches Ausmaß an physischer Gewalt auskommt, entfaltet eine ungleich stärkere Wirkung. “Das eiserne Haus” ist ein sehr guter Thriller, keine Frage, aber besser als der Vorgänger ist er nicht.