Schnelle Bilder, zum Greifen nahe

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
colette0815 Avatar

Von

Das eiserne Herz des Charlie Berg

Wir befinden uns mit Charlie und seinem Opa im Wald, liegen auf der Lauer, machen Jagd auf den Riesenhirsch. Es fällt ein Schuss, es werden weitere folgen, und plötzlich ist nichts mehr wie es war. Charlies Plan, und planen kann der wohlüberlegende und sehr strukturiert handelnde Protagonist mit ausgeprägtem Katalogisierungszwang, geht gründlich schief. Er wollte seinen Zivildienst an der Nordseeküste anzutreten, sich endlich von der verkorksten Familie abnabeln und seine Romanidee in die Tat umsetzen. Stattdessen liegt Opa tot im Wald, Paps hockt bekifft im Keller und die Liebe seines Lebens möchte den falschen Mann heiraten. Anfangs meint Charlie noch, er hätte alles im Griff, vor allem sein schwaches Herz. Es ist aber viel mehr seine exzellente Nase die ihm (un)zuverlässig den Weg durchs Leben weist, inklusive olfaktorischen Overkills.

Es dominiert eine klare Sprache, die an vielen Stellen ausgiebige Kapriolen schlägt und detailreiche Bilder kreiert, die zum Greifen nahe sind. Im rasanten Tempo nehmen die Dinge ihren Lauf, im Mittelteil flaut es ein wenig ab (zum Glück, sonst hätte ich am Ende des Buches auch ein schwaches Herz), kratzt manchmal an der Grenze zur Langatmigkeit, um am Ende wieder Fahrt aufzunehmen und ein fulminantes Ende aufzufächern.
Das Buch hat seinen ganz eigenen thematischen Aufbau, bringt uns auf mehreren Zeitebenen die Familiengeschichte näher, mit den überspitzten Figuren, die ihren eigenen Charme entwickeln und manche auch eine rührende Liebenswürdigkeit. Nebenbei werden wir zu Parfümeuren, spähen hinter die Theaterkulissen und erinnern uns an die 90er Jahre - was für eine herrliche Zeit damals.

Das Cover ist anders, schön, passend zur Geschichte, die sich am Ende wie ein verrückter Traum anfühlt.
Ob ich das Buch weiterempfehlen oder verschenken würde? Definitiv ja – aber nicht jedem 😊