Ein getrübtes Vergnügen

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johannaberger Avatar

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Ich habe den Roman ganz gelesen und für die 525 Seiten nur drei Tage gebraucht. Ein Schmöker. Es war eine Art „guilty pleasure“, denn eigentlich ist das Buch nichts für mich. Ein poetisches Märchen. Es gibt packend erzählte Passagen, beispielsweise von der Hochwasserkatastrophe 1966 in Florenz, die große Verwüstungen anrichtete und der ungezählte Kunstwerke zum Opfer fielen. Auch die Szenen im Ostlondoner Pub sind lebendig erzählt. Man kann den Mief der 50er Jahre riechen.

Der Anfang ist vielversprechend. Eine Situation im Jahr 1944, irgendwo in der Toskana. Es gibt die interessante alte und lesbische Kunsthistorikerin und Spionin Evelyn Skinner, die sich um die von den Deutschen geraubten Kunstwerke kümmern will. Und dann später den amerikanischen Soldaten Ulysses Temper, der von ihr fasziniert ist. Die Szene wechselt ins alte Londoner East End, das Personal wächst: der aufbrausende Pubwirt Col, die junge Peggy, die in einen dort stationierten amerikanischen Soldaten verliebt, aber auch mit Temper verheiratet ist, ihre Tochter Alys, der Pianospieler Pete, der alte Cress, der mit seinem Kirschbaum spricht (und Antwort bekommt) und viele andere Figuren mehr.

Das Schlimme dabei ist, sie sind alle gute Menschen, viel zu gute Menschen. Zu allem Überfluss kommen die Freunde durch eine Erbschaft und Wetten an Geld. Ulysses, nach einem siegreichen Windhund benannt und nicht der antiken Figur, bekommt eine Wohnung in Florenz und baut sie zur „pensione“ aus. Dorthin ziehen nach und nach die meisten anderen – vom Leben gebeutelten - Personen. Alles dreht sich um Freundschaft, um Liebe und um Essen und Trinken – also das, was die Welt zusammenhält. Es herrscht eine solche Harmonie in der Wohngemeinschaft in Florenz, dass man die Autorin manchmal schütteln möchte.

Unglaubliche Zufälle werden zum Schicksal erklärt. Ein sprechender Pomeranzenbaum, ein sprechender Papagei, der vielleicht Shakespeare ist. Ein neunjähriges Mädchen, das sich mit einer alten Kunsthistorikerin über den Film „Fahrraddiebe“ unterhält und die letzte Szene in Fellinis „Vitelloni“ analysiert und bewertet. Manchmal ist mir das poetische Märchen einfach zu viel geworden.
Zuweilen habe ich mich über die Übersetzung geärgert: Das englische „vest“ wird mit Weste übersetzt, so dass Ulysses ein Hemd über seiner Weste tragen muss. Die 82-jährige (!) Evelyn muss „prächtig gedeihen“, die 20-jährige Alys trägt eine „Mulltuchbluse“…. Englische Redewendungen werden wörtlich übersetzt, sodass deutsche Leser verzweifelt nach dem Sinn fragen.

Insgesamt ein getrübtes Vergnügen.