Nur den Silberstreif im Blick

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owenmeany Avatar

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Nach dem überwältigenden Erfolg von "Lichte Tage" habe ich mich förmlich auf dieses neue Buch Sarah Winmans gestürzt - und dann kostete es mich erst einmal einige Mühe hineinzufinden. Ein abschließendes Urteil sollte man sich erst nach der letzten Seite bilden, denn da schürzt sich der Knoten: also harrt tapfer aus!

Spätestens nach dem von James Ivory kongenial verfilmten Roman "Zimmer mit Aussicht" von Edward M. Forster (der auch hier noch eine Rolle spielen wird) kennt man die englische Affinität zu Italien und speziell zur Stadt Florenz. Und Winman breitet hier auf über fünfhundert Seiten die reine Liebeserklärung an die Medici-Stadt vor uns aus - in freudigen und noch mehr in traurigen Tagen. Leitmotiv aller Begebenheiten ist ausnahmslos die Liebe als Triebkraft für das Leben an sich. Dass dabei das homoerotische Begehren beider Geschlechter eine signifikante Rolle spielt, ist Geschmackssache.

Handfeste Charaktere hat die Autorin ganz markant skizziert bis hin zum Shakespeare zitierenden Papagei, aber trotz all der Dramatik plätschert die Handlung zunächst Kapitel für Kapitel so vor sich hin, über allem liegt ein sanfter Schleier. Leitmotiv ist durchweg die starke Sympathie für Florenz, die die Kunsthistorikerin Evelyn in dem jungen Soldaten Ulysses noch während des Zweiten Weltkriegs entfacht. Der Bogen spannt sich bis in die Siebzigerjahre und umfasst zahllose Ereignisse und Schicksalsschläge, eingebettet in historische Tatsachen wie die Mondlandung, die Fußball-WM 1966 und vieles andere mehr.

Mit dem abermaligen Zusammentreffen der Protagonisten macht es Winman spannend, das Buch stellt auch ein kunstfertiges Spiel mit dem Leser dar. Das unterstreicht auch ihre feine Ironie in den filmreifen Dialogen, durchsetzt von regelrecht slapstickartigen Szenen. Um die großen Gefühle macht sie gar nicht so viele Worte, sondern lässt kleine Beobachtungen für sich sprechen. Fürs Nähkästchen habe ich mir denkwürdige Zitate notiert: "Die erste Regel der Kunst! Betrachtung wird Liebe.", und: "Wir finden deine Seele und bringen sie dir zurück."

Ist das Kitsch oder eine über alle Maßen liebevolle Weisheit, die wie sanfter Regen auf die Wüste fällt? Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Insgesamt scheint mir vor allem die Figur des reinen Tors Ulysses (was für ein sprechender Name) eigentlich zu gut für diese Welt. Doch heutzutage, wo man fast alles von Hass durchtränkt sieht, braucht man doch so eine ungemein wohltuende Botschaft. Und so schließe ich nach der letzten Seite satt und zufrieden den Band, um dann doch noch einmal zum Anfang zurückzublättern und mich zu freuen über den Kreis, der sich gerade geschlossen hat.