Berührende Geschichte über Familie und Fremdsein

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Nana Reja, die alte Nanny der wohlhabenden Familie Morales im mexikanischen Lineares, findet ein Baby, umhüllt von Bienenschwärmen. Auf der Hacienda der Familie wächst Simonopio, geliebt und geschützt vor Anfeindungen wegen seines ungewohnten Äußeren und Verhaltens, als einer der ihren auf. Simonopio hat eine besondere Gabe, er scheint Dinge vorhersehen zu können. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts die spanische Grippe und der Bürgerkrieg wüten, kann er die Familie mehrmals vor großen Katastrophen bewahren. Doch das Glück wird nicht ewig andauern.

DAS FLÜSTERN DER BIENEN spielt durch stark variierende Kapitellängen auf sehr gelungene Art mit dem Erzähltempo. Von Ein-Satz-Kapiteln bis zu ausführlichen Kurzgeschichten in der Story selbst ist alles dabei. Und komischerweise ist das gar nicht schwer zu verdauen, ebenso wie die wechselnde Erzählperspektive.

Die Worte fließen durch diesen Roman wie Honig. Reich und sättigend wickelt er sich langsam um den Löffel, in immer mehr Schichten, um ebenso träge wieder herabzufließen und fast unbemerkt beginnt, schneller zu fließen, schneller und schneller, bis er schließlich als goldgelber See vor einem liegt.
Bald spürt man eine tiefe Verbundenheit nicht nur zu Simonopio, der nicht einmal selbst spricht, sondern auch zu den anderen Figuren aus Familie und Angestellten, in deren Leben wir eintauchen. Selbst zu denen, die wir nicht unterstützen wollen.

Landschaft, Zeit und Stimmung sind auf den Punkt gebracht. Sprachlich und technisch gefällt mir dieses Buch (übersetzt von Kirsten Brandt) außerordentlich gut. An keiner einzigen Stelle bin ich über eine unelegante Formulierung oder schlecht verknüpfte Handlungen gestolpert und konnte so einfach nur die Geschichte genießen.

Einzig, dass an manchen Stellen Dinge vorweggenommen wurden, störte mich etwas. Das ist aber wohl eine individuelle Präferenz. Auch wenn ich keine Krimileserin bin, habe ich nie etwas gegen ein paar Körner suspence.
An manchen Stellen wich mir außerdem die Geschichte zu stark in Nebenstories ab, die für den eigentlichen Verlauf keine Rolle mehr spielten. Auch wenn dies ebenfalls ganz tolle kleine Geschichten waren und ich mir schon wünschte, der Weg möge in diese Richtung weitergehen, hätte ich sie am Ende eher gestrichen. Und bitte zu neuen Romanen verarbeitet. Liebenswerte und nahbare Figuren mit ihren ganz eigenen Geschichten entwerfen kann Segovia nämlich wirklich ganz hervorragend.

Dieses Buch ist vor allem eines: leise (aber nie langweilig). Leise aber auf eine sehr ergreifende Art und Weise, wie ein sanfter Griff an die Schulter, der uns vorsichtig aber bestimmt immer weiter hinein führt in diese Geschichte über Selbstlosigkeit und Missgunst, Familie und Fremdsein und die Auswirkungen politischer Ereignisse auf diesen winzigen Punkt unter dem Brennglas, der die Hacienda der Familie Morales ist. Und mit ihr auf die vielen Leben der Menschen, die dort eine Heimat gefunden zu haben glauben.

Es ist ein ruhiger, besonnener Appell an die Menschlichkeit, für das gegenseitige Verständnis und ein Miteinander.

Absolut empfehlenswert!