Bienen und wundersame Rettungen

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heike lohr Avatar

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Ein Buch, das sich im Gebiet von Mexiko um die Wunder dieser kleinen Gemeinde kümmert, macht mich verwundert, neugierig und lebensbejahend. Es ist so geheimnisvoll und gleichzeitig beruhigend. Die traurigen Schicksalschläge werden mit den zufälligen Rettungen aus tiefer Not ausgeglichen. Auch wenn die medizinische Situation nach unserem Verständnis mehr als katastrophal ist, gibt es die Lebenserfahrung des Arztes. Mit seiner Pragmatik, das Notwendige ohne zu viel Gefühlduselei zu tun, rettet er eine junge Mutter, deren Kind gerade gestorben ist, von der Straße. Er bringt sie in das Haus, wo die Mutter gerade an Kindbettfieber gestorben ist: Ihr frisch geborenes Kind müsste sonst verhungern. So hilft die Mutter mit den ihrer Muttermilch aus, die zu dieser Zeit in dieser Gegend nicht abgepumpt werden kann. Dazwischen erzählt ein Ich-Erzähler von seiner alten Mutter, ihrer Gewohnheit immer dienstags Wäsche zu waschen und sie zu bügeln. Die unterschiedlichen Perspektiven und Lebensstränge werden collageartig aneinander gereiht. Nana Reja ist aus ihrem Schaukelstuhk verschwunden, ihre Familie sucht sie und befürchtet das Schlimmste. Denn ihre Nana verlässt sonst nie ihren Schaukelstuhl. Statt sie tot zu finden, hat sie ein Kind und eine Bienenwabe gefunden und gerettet. Das ausgesetzte Kind hat sonst niemand bemerkt. Obwohl ihre Terasse weit von der Fundstelle entfernt ist, will sie das leise Wimmern des Kindes gehört haben. Da der Oberkiefer des Kindes nicht ausgeprägt ist, füttert sie es mit Milch und Honig, die sie über ihr Schultertuch in den Mund des Jungen tropfen lässt.
Ist das gefundene Kind der in der Ich-Form erzählende Erwachsene, so dass die Unterbrechungen der anderen Erzählstränge die Geschichte aus der Vergangenheit bilden, die dieser Erwachsene z. T. in seiner Kindheit mitbekommen hat. Dann lebt er in der Gegenwart, wohingegen die anderen Ereignisse aus seiner Kindheit stammen.
In dieser ländlichen Gegend kennt jeder jeden, alle hängen zusammen und die Neuigkeiten verbreiten sich in Windeseile.
Es ist eine andere Zeit- und Weltauffassung, welche aus den Zeilen spricht. die Übersetzung vermag diese lateinamerikanische Stimmung einzufangen. Die Collage der einzelenen Szenen und Ereignisse über lassen es dem Leser viel eigenständige Arbeit des Verstehens und des Zusammensetzens der Ereignisse zu einem Ganzen. Die Sprache ist leicht verständlich, der Erzählstil flüssig und doch irgendwie verträumt mit vielen offenen Fragen. Das Handeln der Protagonisten ist durch sehr viel Intuition und Durchsetzungsvermögen geprägt. Der Tod, obwohl er allgegenwärtig ist, macht zwar traurig, doch verängstigt nicht. Auch wenn manches als allzu rau erscheint, ist das Einfühlungsvermögen der einzelnen Protagonisten groß. Sie entscheiden sich immer für das Leben und für die Menschlichkeit. sie helfen, ohne nach der Sinnhaftigkeit zu fragen.
Wer sich in eine andere Kultur, eine andere Mentalität und eine vollkommen andere Wirklichkeit begeben will, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen. Es bietet ein nachdenkliches, interkulturelles und lebensbejahendes Leseerlebnis.