Schwarze Schatten der Vergangenheit

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bellis-perennis Avatar

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Dieser Roman über eine höchst seltsame Familie ist fesselnd bis zur letzten Seite!

Wenige Tage vor der Feier zum 80. Geburtstag ihres Großvaters Karl trifft Mona in der Marsch ein und muss feststellen, dass Großmutter Annemie verschwunden ist. Karl scheint das Verschwinden seiner Frau nicht wesentlich zu tangieren.

Wortkarg wie eh und je, maßregelt er Mona, die sich sowohl um ihn als auch um Annemie sorgt. Nur mit Widerwillen lässt er Mona in sein Haus, in dem sie ihre Sommerferien verbracht hat, einziehen. Auch der Rest der Familie, also Monas Mutter Sabine, die nur sehr selten in Deutschland ist, oder Sabines Zwillingsbrüder Sven und Stefan, wollen dem Verschwinden ihre Mutter nachgehen. Ja, man schaltet halbherzig die Polizei ein, ruft Krankenhäuser und die eine oder andere Bekannte, denn wirkliche Freundinnen von Annemie sind nicht bekannt, an. Irgendwie ist allen das Schicksal Annemies egal.

Nur Mona stochert weiter in Omas Leben. Ein vergilbtes Säuglingsfoto in Omas Geldbörse, das weder Sabine oder einen der Zwillige zeigt, gibt einen ersten Hinweis auf ein unbekanntes Familiengeheimnis, zumal es plötzlich wieder verschwunden ist.

Erst als Mona gemeinsam mit Jon, dem Freund aus Kindheitstagen aufmacht, Annemie zu suchen, kommt Bewegung in die Sache. Dabei hat Mona eigentlich mit sich selbst genug zu tun.

Bei der Geburtstagsfeier, die trotz des Fehlens von Annemie stattfindet, kommt es dann zum Eklat.

Meine Meinung:

Autorin Katja Keweritsch zeichnet hier ein Bild einer dysfunktionalen Familie, die man nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünschen würde, aber immer wieder doch vorkommt. Alles dreht sich um die Doppelmoral und um die Angst vor Gerede im kleinen Dorf in der Marsch, wo man sich ganz genau beobachtet und zu kennen glaubt. Doch kennt man seine Nachbarn wirklich? Oder sieht man nur das, was man sehen will? Das, was in das eigene Weltbild passt?

Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. So kommen neben Mona und ihre Tante Janne, auch Großmutter Annemie zu Wort. Einen weiteren Handlungsstrang mit Freya und Ayko, kann man zunächst nicht ganz einordnen.

Von Kapitel zu Kapitel steigert sich mein Zorn auf Karl und Stefan, die beide ihre Frauen misshandeln, der ein physisch und der andere psychisch. Während Janne, Stefans Frau, sich mit drei Kindern und dem Haushalt (beides will sie perfekt hinkriegen) abstrudelt, geht Stefan zur Herrenrunde, ins Fitness-Studio oder zu Feuerwehrübungen. Es ist ja sein gutes Recht - er bringt das Geld nach Hause, oder?. Kindergeschrei gehört in die Hemisphäre der Frau, weshalb er mit Ohrstöpseln schläft, um von der zahnenden Jüngsten nicht geweckt zu werden. Nicht einmal als Janne völlig zusammenbricht und in die Klinik muss, kümmert er sich um den Nachwuchs. Da springen Jannes Eltern ein.

Die Auflösung ist so tragisch wie komplex. Erst als Sabine ihr Schweigen bricht, scheint es die Möglichkeit zu geben, diese Familientraumata, die von Tochter zu Tochter weitergegeben worden sind, zu durchbrechen.

Unheimlich sind die Zitate aus Johanna Haares Buch der Kindererziehung aus der NS-Zeit. Dass dieses Buch bis 1987 (!) im Buchhandel erhältlich war, erschüttert noch einmal extra.

Fazit:

Schon lange keinen Roman über so eine dysfunktionale Familie gelesen, der mich so berührt und gleichzeitig wütend gemacht hat. Gerne bewerte ich dieses Buch mit 5 Sternen.