Wo in der Marsch geflüstert wird, möchte man manchmal laut schreien

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yernaya Avatar

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Es ist noch gar nicht so lange her, dass man in Deutschland von Vernunftsehen sprach und andererseits gewisse Verbindungen als nicht standesgemäß betrachtet wurden. Es ist auch noch gar nicht so lange her, dass es als Schande galt, wenn eine unverheiratet Frau ein Kind zur Welt brachte. Da ging es um den Ruf der Familie, und dieser wurde auch über das Ausleben oder Nicht-Ausleben von Sexualität definiert. Natürlich nur über die Sexualität der Töchter, denn junge Männer durften sich durchaus "die Hörner abstoßen". Unterschiedliche Moralvorstellungen zur Sexualität von Männern und Frauen gibt es bis heute, doch was damals passiert wird in vielen Familien bis heute verschwiegen oder nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert.

Das Flüstern der Marsch von Katja Keweritsch thematisiert das Leben von vier Frauen zwischen 1964 und 2024. Wir begegnen Annemarie, Mona, Freya und Janne. Es braucht Geduld um die Verbindungen zwischen diesen so unterschiedlichen Protagonistinnen aufzuschlüsseln. Keweritsch erzählt behutsam, wechselt zwischen den Zeitebenen und den Personen hin und her. So entsteht langsam ein wunderbarer Roman, wie bei der Autorin gewohnt einfühlsam und wortgewandt erzählt. Die Bilder der Marsch, die Keweritsch dabei zeichnet, ergänzen die Handlung und zaubern eine besondere Atmospäre.

Jede der Frauen hat ihren eigenen Kampf mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit zu kämpfen. Manche Erfahrungen sind traumatisierend, andere auszehrend oft wünscht man sich ein kollektives Aufbegehren. Und dann sind da die Männer, die emotionslos zusehen, wie die Frauen an ihrer Seite zerbrechen. An den Moralvorstellung, am Gender Care Gap oder an überkommenen Rollenvorstellung Wo in der Marsch geflüstert wird, möchte man manchmal laut schreien. Doch es wäre nicht Katja Keweritsch, wenn es nicht auch Hoffnung gäbe.

Zu erwähnen ist auch das wunderschön stimmige Cover dieses großartigen feministischen Familienromanes.