Brilliant geschrieben!

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kingofmusic Avatar

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„Am Ende gelingt ein Kunstwerk nur dann, wenn […] sein Schöpfer den unverrückbaren Glauben daran besitzt, der es ins Dasein bringt.“ (S. 455)

Wow, ich bin immer noch platt. Als ich vor zwei Tagen die letzte Seite von „Das Geheimnis der Muse“ von Jessie Burton gelesen und das Buch zugeklappt hatte, war ich drauf und dran, gleich wieder zu starten, weil ich einfach nicht glauben konnte, dass ich mein zweites Jahreshighlight schon wieder durchgelesen hatte. Ich brauchte auch erst mal ´ne Weile, um aus dem London des Jahres 1967 wieder in die Gegenwart des Jahres 2018 zu finden.

Jessie Burton hat mit ihrem zweiten Roman definitiv einen Anwärter auf die Silber- oder Goldmedaille in meiner persönlichen Jahresbücherolympiade geschrieben – so viel steht schon mal fest.

Sie erzählt mit einer auf der einen Seite unglaublich locker-leicht anmutenden, auf der anderen mit einer künstlerisch-anspruchsvollen Sprache die Geschichte zweier Frauen, die tragisch miteinander verknüpft sind.
Im London des Jahres 1967 fängt Ich-Erzählerin Odelle Bastien eine Stelle als Schreibkraft im fiktiven Londoner Skelton Institute of Art an. Dort wird sie von ihrer Chefin Marjorie Quick unter ihre Fittiche genommen und ermuntert, ihre schriftstellerische Karriere voranzutreiben und auszubauen.
Im schwül-heißen Andalusien des Jahres 1936 trifft der Leser auf die 19-jährige Olive Schloss, die sich heimlich an einer Londoner Kunstschule beworben hat, letzten Endes aber in Spanien bleibt und dort ihr „Heil“ sucht.
In abwechselnden Abschnitten, in denen wir sowohl Odelle als auch Olive und ihre jeweiligen Sorgen, Ängste, Nöte als auch Sehnsüchte, Begierden und das jeweils passende „Lebensgefühl“ der dargestellten Zeit kennenlernen, wird die Story um ein geheimnisvolles Bild und ihre Entstehung fächerartig vor dem Leser ausgebreitet. Mir war irgendwann klar, dass nicht jede Figur in diesem Roman die ist, die sie zu sein scheint. Dass ich dann am Ende aber doch richtig gelegen habe mit meiner Vermutung, hat mich doch stark verblüfft, da ich beim „Who done it?“ in Krimis von z. B. Agatha Christie regelmäßig in einer Sackgasse lande :-).

Durch die wechselnde Erzählperspektive hat der Leser natürlich immer schon Informationen, die z. B. Odelle fehlen, um hinter das Geheimnis des Gemäldes zu kommen. Trotzdem fiebert man gespannt mit den Protagonistinnen mit, möchte sie manchmal schütteln ob ihrer Naivität und ihnen zurufen „Tut endlich was, ihr könnt etwas ändern!“, erinnert sich dann aber an die jeweiligen (politischen) Verhältnisse in den Jahren 1967 bzw. 1936 und die Schwierigkeiten, denen die Frauen in beiden Zeitebenen ausgesetzt waren und landet so schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen und genießt als Leser einfach nur diese großartige und teilweise auch traurige Geschichte.

Wer auch immer sich für Kunst, Kunstgeschichte oder die Anfänge der spanischen Revolution interessiert, sollte unbedingt diesen durchweg großartig geschriebenen Roman lesen!

Ich ziehe meinen Hut vor Jessie Burton!