Zwei Künstlerinnenschicksale

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Schon das tolle Cover und der Name der Autorin machten mich auf dieses Buch neugierig, da ich Jessie Burtons Debüt "Die Magie der kleinen Dinge" gern gelesen hatte.
Weibliche Kreativität und Selbstverwirklichung sind nun ihre großen Themen.

Zwei künstlerisch hoch talentierte Frauen stehen im Roman "Das Geheimnis der Muse" ("The Muse") im Zentrum. Die Linien ihrer Lebensgeschichten kreuzen sich in einem Gemälde.

Im Sommer 1967 bewirbt sich Odelle Bastien bei einer renommierten Londoner Kunstgalerie, dem Skelton Institut um eine Stelle als Schreibkraft. Anfang der 1960er Jahre war sie, jung und gut ausgebildet, als Immigrantin aus Trinidad gekommen, doch anstatt wie erträumt Schriftstellerin zu werden, führen sie die Arbeitsmöglichkeiten, die Farbigen offenstanden, nur zu einem Job als Schuhverkäuferin bei Dolcis.

Doch nun ist ihr das Glück hold: die exzentrische Marjorie Quick, in leitender Position in der Galerie Skelton, scheint ihr verborgenes Potential zu erkennen, stellt Odelle ein und nimmt sie unter ihre Fittiche.

Bei der Hochzeitsfeier ihrer besten Freundin Cynth, trifft Odelle auf Lawrie, der kurz zuvor ein spezielles Gemälde geerbt hat, von dem er hofft, dass es ein bisschen Geld bringen könnte. Dieses Bild ist schon so lange er sich erinnern kann im Besitz seiner Familie. Durch Odelles Vermittlung, kann er es im Skelton Institut schätzen lassen. Dort zeigt man sich aus kunsthistorischen Gründen daran sehr interessiert, es scheint sich um ein Werk des im spanischen Bürgerkrieg verschollenen Malers Isaac Robles zu handeln.

Das Geheimnis um den Ursprung von Lawries Gemälde wird auf der zweiten Zeitebene des Romans langsam gelüftet.
Sommer 1936: Im Süden Spaniens, auf dem Land unweit von Malaga haben sich die 19-jährige Olive Schloss und ihre Eltern, der bekannte jüdische Kunsthändler Harold aus Wien und die wohlhabende englische Erbin Sarah, gerade in eine alte Villa eingemietet. Die Eltern haben sehr viel mit sich selbst zu tun - Sarah neigt zu Depressionen, der Vater hat ein Verhältnis. Die Vorzeichen des spanischen Bürgerkrieges werden von ihnen fahrlässig ignoriert.
Ohne dass ihre Eltern davon wissen, hatte sich Olive um einen Platz an der Londoner Kunstschule Slade beworben und nun eine Zusage erhalten. Sie bewahrt Stillschweigen und greift die einzigartige Gelegenheit, sich von den Eltern zu emanzipieren und künstlerisch voranzukommen nicht auf.

Kaum ist die Familie eingezogen, machen sich die illegitimen Kinder des Landbesitzers unentbehrlich: Isaac Robles und seine Halbschwester Teresa. Die 16-jährige Teresa wuppt bald den Haushalt, wird Vertraute Olives und sieht in ihr eine begabte Künstlerin. Der attraktive Isaac malt ebenfalls und erweist sich als glühender politischer Aktivist auf der Suche nach finanzieller Unterstützung für die Revolution. Er ist es auch der eher unfreiwillig Olives künstlerische Talente entzündet.

Die beiden Frauenfiguren Olive und Odelle teilen einige Gemeinsamkeiten.
Beide Frauen sind fremd im jeweiligen Land und haben ihre Wurzeln verloren.
Das gesellschaftliche Umfeld hindert sie an der Entfaltung und Anerkennung ihrer künstlerischen Fähigkeiten. Obwohl Olives Vater Kunsthändler ist, belächelt auch er respektlos und abwertend Künstlerinnen, nimmt ihre Werke nicht für voll und übersieht das Talent seiner Tochter.
Odelle hat es als Farbige und Frau ebenfalls Anfang der 60iger Jahre schwer, künstlerisch Fuß zu fassen. Schamhaft und voller Selbstzweifel verstecken die jungen Frauen ihre künstlerischen Arbeiten.
Für Odelle und Olive spielen Freundschaft und Unterstützung durch andere Frauen eine große Rolle. Olives Gemälde erfahren durch einen Eingriff von Teresa eine große Wertschätzung. Odelles Vorgesetzte Majorie Quick lanciert die Veröffentlichung eines Kurzgeschichte ihres Schützlings. Ohne diese Hilfen hätten beide Künstlerinnen diesen Mut und das Selbstvertrauen in das eigene Werk nicht gehabt.

Der Buchtitel mag bestimmte Erwartungen wecken, doch Burton verleiht der eher weiblichen Vorstellung der "Muse" neue interessante Nuancen.

Mir gefällt, dass dieser Roman Themen wie die fehlende Akzeptanz weiblicher Kreativität und Kunst - aus unterschiedlichsten Gründen - und das Ringen um künstlerische Identität aufgreift.
Durch viele unerwartete Wendungen und einen angenehmen Schreibstil wird die Spannung gehalten.
Von den beiden Protagonistinnen hat mich Odelle mehr überzeugt.
Ich fühlte mich mit Odelle intensiver verbunden, konnte mich besser mit ihr identifizieren, was zudem unterstützt wurde. dass ihr Erzählteil in der Ich-Perspektive verfasst wurde. Die Figur der Olive Schloss berührte mich leider weniger, da ich ihre Handlungsweise oft nicht nachvollziehen konnte.

Alles in allem ist es ein lesenswerter Roman!