Familienbande

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annajo Avatar

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Winona, Aurora und Vivi Ann sind Schwestern. Als junge Mädchen haben sie ihre Mutter verloren und hatten neben ihrem Vater, der nie eine große Hilfe war, nur sich. Inzwischen ist Winona eine respektierte Anwältin in dem kleinen Örtchen Oyster Shores, die etwas zu pummelig ist, mit ein bißchen zu wenig Selbstbewusstsein und die immer wieder vergeblich um die Anerkennung des Vaters kämpft. Aurora hat einen Arzt geheiratet, zieht zwei Kinder groß und ist die ausgleichende Kraft unter den Schwestern. Vivi Ann wohnt noch bei dem Vater auf der Pferde-Ranch Water's Edge, sie ist die Lieblingstochter des Vaters, eine wahre Schönheit und bekommt alles, was sie will. Und dann kehrt plötzlich Luke in die Stadt zurück, Winonas Kindheitsfreund und heimliche große Liebe. Leider hat Luke nur Augen für Vivi Ann und so nimmt das Drama seinen Lauf ...

Wenn man diese Inhaltsangabe liest, klingt die Geschichte ziemlich platt. Und so richtig kann sie die Komplexität der Handlung auch gar nicht wiedergeben. Denn was vor allem hinzukommt sind Emotionen. Winona sagt ihrer kleinen Schwester nicht, dass sie in Luke verliebt ist. Und während diese mit Lukes Gefühlen spielt, kochen in Winona alle negativen Gefühle und Enttäuschungen hoch, die sich über die Jahre angesammelt haben: Neid, Eifersucht, Missgunst. Und auch wenn Winona sehr viel schlechte Stimmung verbreitet, kann man ihre Gefühle doch oft nachvollziehen, besonders wenn der Vater sie wieder ungerecht behandelt. Und so zerstreiten sich die Schwestern schließlich und machen sich gegenseitig das Leben schwer, obwohl sie einander beistehen sollten. Hinzu kommen die Kleinstadt und das Gerede der Leute. Diese Stimmung konnte die Autorin absolut überzeugend vermitteln, besonders als etwas passiert, dass die ganze Stadt betrifft und die Schwestern in den Mittelpunkt rückt.
Nach einem Prolog aus dem Jahr 1979 begleitet der Leser die Schwestern über 15 Jahre hinweg (1992 bis 2007). Der Hauptteil des Buches ist gegliedert in zwei Teile mit den ominösen Titeln "Vorher" und "Danach". Innerhalb dieser Teil gibt es wiederum einzelne Kapitel, die aus verschiedenen Perspektiven die Geschichte erzählen, durchsetzt sind diese später zudem durch kursive Tagebucheinträge von Vivi Anns Sohn. Der Autorin gelingt es, all diese Perspektiven lebendig und emotional darzustellen. Man begleitet die Schwestern beispielsweise von der naiven, optimistischen Mitzwanzigerin zur desillusionierten Verzweifelten, die ein Schicksalsschlag völlig aus der Bahn wirft. Alle Figuren reifen mit der voranschreitenden Zeit und den Erlebnissen und wirken völlig lebensecht.
Leider sind sowohl Klappentext als auch Titel irgendwie unpassend, denn die Schwestern zerstreiten sich nicht über Luke, sondern über das, was danach passiert. Natürlich ist der Weg zum Drama durch das Luke-Erlebnis schon geebnet, aber auch die folgende Katastrophe ist von den Schwestern nicht selbst verursacht. Zudem gibt es kein Familiengeheimnis, das die Schwestern hüten. Das Geheimnis könnte lediglich in ihrer Beziehung zueinander liegen, aber der Titel suggeriert anderes.

Ansonsten ist dieses Buch ein schöner, hoch emotionaler Frauenschmöker für die kommenden Herbsttage. Eine kuschelige Decke, ein Tee und ein Sofa reichen aus, um dieses Buch in vollen Zügen zu genießen und sich für eine Weile fremdem Herzschmerz hinzugeben und das Buch am Ende tief seufzend - vielleicht auch ein paar Tränchen verdrückend - zuzuschlagen. Ich war positiv überrascht, wie sehr mich dieses Buch mitleiden ließ und mir die Lesestunden verkürzt hat.