Gerede und Moral

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heike lohr Avatar

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Eine wunderbare multiperspektivisch erzählte Geschichte einer Liebe zwischen zwei verschlossenen Menschen, die in einer Dorfgemeinschaft in Schottland leben, und dem Gerede ud Annahmen der Menschen ausgeliefert sind.
Joseph, der Fischer, und Dorothy, die Lehrerin, haben eine strenge und christlich geprägte Erziehung genossen, die sich nicht ohne weiteres auf das Leben mit körperlicher Liebe hinweist.
Am Lebensende, sprich im letzten Lebensabschnitt, werden sie an ihr traumatisches Erlebnis erinnert, de Verlust des gemeinsamen Kindes. Doch das war nicht offiziell, nur inoffiziell wurde es von allen vermutet.
Dabei ging es nicht wirklich um Ausgsprochenes, sondern um Unausgesprochenes. In Skerry, dem ablegenen Ort, gibt es nur ein karges Leben zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hätte ich gesagt. Fernsehen spielt keine Rolle nämlich, sondern alle Kochen und Backen ihr Brot.
Sie machen Fischsuppe und Fisch, sie putzen und lesen. Die Frauen stricken im Strickzirkel.
Dorothy kommt nach ihrer Ausbildung in das Dorf und wird vom Pfarrer in alles eingeführt. Agnes liebt Josep ihr leben lang, weil er freitags immer zum Essen kommt. Doch er sieht in ihr nur eine kleine Schwester. Sie will nicht, dass die kühle und sehr distanzierte Lehrerin ihn bekommt und lässt sie wissen, dass sie mit ihm verlobt ist.
Dorothy hat viel in der kirche gemacht, für die Armen gekocht und gestrickt etc. Sie ist sehr hoch geschlossen angezogen, erlaubt sich keine Schwächen, mag keinen Klatsch und wird doch von ihm manipuliert.
Durch das Gerede glaubt sie eben, dass Agnes und Joseph oder Lorna und Joseph ein Par sind bzw. eines werden.
Schließlich tritt William in ihr Leben und seine Schwester Jane will es verhindern, dass die beiden heiraten. Doch sie tun es und das Sexualleben ist sehr bescheiden. Schließlich haben sie keinen intimen körperlichen Kontakt mehr.
All das wird aus den Perspektiven von Joseph, Dorothy, rs. Brown, Jane und Agnes erzählt. Es wird geschickt zwischen Gegenwart und Vergangenheit gewechselt. so dass aus den unterschiedlichen Kapiteln in den unterschiedlichen Zeiten und aus der Sicht der verschiedenen Personen ein Gesamtbild entsteht, das immer wieder die Ereignisse in ein anderes Licht rückt.
Aus welchen Gründen auch immer, viele fühlen sich schuldig am Tod von Moses, Dorothys Kind, das in einer regnerischen Nacht im Freien in einer wilden Liebesverbindung zwischen Joseph und Dorothy gezeugt wurde.
William ist ein liebevoller Vater, der sich auf einmal seltsam verhält und die Familie verlässt. Dorothy glaubt, weil seine Schwester ihm erzählt hat, dass Moses nicht sein Sohn ist.
Doch auch das stimmt nicht, weil Jane schließlich zugibt, dass ihr Bruder keine Frauen mag und sich, als er Dorothy und seinen vermeintlichen Sohn verlassen hat, umgebracht hat,
Eine Enthüllung, die um so schlimmer ist, weil eben nach all den Jahren, ein Kind von der Gemeinschaft gerettet wird, dass dem verstorbenen und niemals ans Land geschwemmten Moses zum Verwechseln ähnlich sieht. Für Dorothy, die ihn eine zeitlang pflegt und hegt, wird er zum verschollenen Sohn, auch wenn er norwegisch spricht.
All diese unterschiedlichen Lebensberichte und die Ereignisse in der erzählten Gegenwart machen aus dieser vielschichtigen Erzählug ein Psychogramm unterschiedlicher Charaktere und ein Zeitgemälde des Dorflebens.
Die Persönlichkeiten der Dorfbewohner und die Verhaltensweisen, die karge Lebensweise, die sich ganz auf den Haushalt und das Arbeiten konzentriert, bieten einen Einblick in eine Lebensform ohne moderne Hilfsmittel.
Alles ist stimmig, authentisch und mit viel Liebe zu allen Beteiligten geschildert, ohne dass jemals Moral gepredigt wird.
Ein spannender und sehr berührender Leseeindruck, der mich zum Nachdenken angeregt hat. Also unbedinngt lesen und genießen!