Kluges und witziges Gedankenspiel

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leukam Avatar

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Die flämische Autorin hat letztes Jahr mit ihrem Erfolgsroman „Trophäe“ einen Bestseller gelandet. Auch für mich zählte er zu den eindrücklichsten Leseerlebnissen. Deshalb bin ich mit großen Erwartungen an ihr neuestes Buch herangegangen und wurde nicht enttäuscht.
Vom Umfang her weicht es vom Vorgänger ab. „Das Geschenk“ ist ein schmales Buch, mehr Novelle als Roman. Thematisch allerdings bleibt sich die Autorin treu. War es dort ein Nashorn, so sind es hier Elefanten, die Probleme schaffen. Es steht mal wieder Tierwohl gegen menschliche Bedürfnisse. Auch postkoloniale Denkweisen und Strukturen werden verhandelt. Ebenso konfrontiert uns die Autorin mit ethischen und moralischen Fragen.
Schauplatz im neuen Roman ist aber nicht der afrikanische Kontinent, sondern Deutschland.
Die Geschichte beginnt mit einer filmreifen Szene: Am frühen Morgen nimmt ein Elefant ein Bad in der Spree, ein zweiter gesellt sich hinzu und weitere werden in der Stadt gesichtet. Damit hat Hans Christian Winkler, der amtierende Bundeskanzler, ein Problem. Ein Anruf des Präsidenten von Botswana klärt die Sachlage. Die Tiere sind nicht Teil eines Terrorangriffs oder einer Spionageaktion, sondern ein Geschenk aus Afrika: 20.000 Elefanten als Antwort auf eine Verschärfung des deutschen Importgesetzes von Elfenbein. ( Tatsächlich machte 2024 der botswanische Präsident Deutschland dieses Angebot. Die Pressemitteilung dazu war der Auslöser für dieses Gedankenexperiment von Gaea Schoeters.) Dank strikter Einfuhrregeln bleiben die Trophäenjäger aus und in Botswana wächst die Population von Elefanten. Die Hälfte des Landes ist Naturschutzgebiet und die dortige Bevölkerung sind die Opfer. „ Ihr Europäer wollt uns vorschreiben, wie wir zu leben haben. Vielleicht solltet ihr einfach mal selbst versuchen, mit Megafauna zurechtzukommen.“ so der afrikanische Präsident.
Was tun also? Ein Krisenstab wird gebildet. Abschießen ist keine Lösung. Tierschutzverbände würden dagegen Sturm laufen, denn die Tiere stehen unter Artenschutz. Doch die Dickhäuter sind eine Riesenherausforderung für das Land. Ein Elefant braucht täglich Unmengen an Futter und was passiert mit seinen riesigen Hinterlassenschaften? Lässt sich das als biologischer Dünger nutzen? Bald geht eine Schneise der Verwüstung durch Berlin und dessen Umland. Die rechtspopulistische Partei nützt das Szenario, um Stimmung im Land zu machen. Winkler sucht Rat bei seiner Vorgängerin im Amt. Die hat folgenden Vorschlag: „ Eine andere Person muss die Kastanien für dich aus dem Feuer holen. Wenn es klappt, kannst du den Ruhm einstreichen, wenn es schiefgeht, hast du einen Sündenbock, den du opfern kannst, wenn das Volk Köpfe rollen sehen will. Nicht gerade anständig, aber effizient.“ Folgerichtig fällt seine Wahl auf eine Frau. Denn nach der „Glass-Cliff-Theorie“ werden „ Frauen …nur in Krisenzeiten solche Spitzenjobs angeboten. Wenn das Risiko zu scheitern groß ist.“
Aber Hannelore Hartmann, die neue Ministerin für Elefantenangelegenheiten, geht ihre eigenen Wege.
Von Tag 1 bis Tag 435 verfolgt der Lesende die Entwicklung und der Autorin gelingt dabei eine großartige Politsatire. Gaea Schoeters kennt die Mechanismen des Politbetriebs, ist sie doch in einem Politikerhaushalt aufgewachsen. Sie beschreibt politisches Taktieren aus Machtkalkül heraus, immer im Blick auf die nächsten Wahlen. Dabei zeigt sie die Hilflosigkeit der demokratischen Parteien, die getrieben sind von ihrer Angst vor dem erstarkenden Rechtspopulismus. Nicht umsonst hat die Autorin ein fiktives Zitat von Hans Christian Winkler dem Text vorangestellt: „ Zur Rettung des Rechtsstaats bin ich bereit, alles zu opfern, sogar den Rechtsstaat.“ Doch der muss sich die Frage gefallen lassen: „Was bringt es dir, die Rechten zu bekämpfen, wenn du selbst genauso rechts wirst?“
Aber auch die zwiespältige Haltung der Bevölkerung wird offensichtlich. Einerseits verfolgt sie gerührt die medienwirksam inszenierte Geburt eines Elefantenbabys ( großartig beschrieben), andererseits weigern sich einige Bundesländer Elefanten aufzunehmen. Das Volk fordert vehement eine schnelle Lösung des Problems, doch einfache Lösungen gibt es auch hier nicht.
Der Elefant ist eine klug gewählte Metapher. Er steht nicht nur für den sprichwörtlichen „ Elefanten im Raum“, sondern meint natürlich auch die großen Herausforderungen unserer Zeit. Die Analogie zur Flüchtlingskrise drängt sich geradezu auf, werden doch ähnliche Lösungsvorschläge diskutiert. Welche Antwort haben demokratische Parteien auf unrealistische populistische Forderungen. Aber auch der Klimawandel, die größte Herausforderung unserer Zeit, ist Thema des Romans. „ Das Klima interessiert sich nicht für den Menschen. Man kann mit ihm nicht verhandeln….Es ist wichtiger als alles andere, weil ihm alles andere vollkommen egal ist.“ Deshalb sind die Politiker gefordert, nicht in Amtszeiten von vier Jahren zu denken, sondern Verantwortung für kommende Generationen zu übernehmen.
„ Das Geschenk“ ist ein ein kluges, bissiges und witziges Gedankenspiel, das trotz surrealer Elementen sehr realistisch wirkt. Es liest sich leicht und süffig und regt dabei zum Nachdenken an. Diskussionsstoff, der über den Roman hinausgeht, bietet er jede Menge und steht so dem erfolgreichen Vorgänger in nichts nach.