Moral mit Rüssel

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„Das Geschenk“ ist ein Buch, welches mich zunächst ein wenig ratlos zurückgelassen hat. Doch genau darin liegt die große Stärke dieser Handlung.
Mit gerade einmal 137 Seiten schafft es Gaea Schoeters, ein hochaktuelles, tiefgründiges und verstörendes Gedankenexperiment zu entwerfen, das über die letzte Seite hinaus nachhallt.

Meine Erwartungen an diesen Roman waren hoch, denn ich wusste, dass Schoeters’ vorheriges Werk „Die Trophäe“ nicht nur äußerst beliebt, sondern regelrecht gefeiert wurde. Der Klappentext zu „Das Geschenk“ klingt vielversprechend: Elefanten, die plötzlich in der Großstadt auftauchen – immer mehr und bedrohlicher.
Schnell wurde klar, dass es sich hier nicht bloß um ein kurioses Szenario handelt, sondern um eine vielschichtige Metapher.

Die Elefanten stehen sinnbildlich für globale Herausforderungen wie die Klimakrise, Migration, gesellschaftliche Unzufriedenheit und moralisches Versagen. Schoeters verwebt diese Themen auf kluge Weise mit dem politischen Alltag und zeigt eindrücklich, wie nationale Entscheidungen internationale Konsequenzen nach sich ziehen können. Dabei wird auch deutlich, wie politisches Handeln oft durch Eigennutz, Machterhalt und Propaganda bestimmt ist und wie sehr moralische Kompromisse zur Tagesordnung gehören.

Was mich besonders beeindruckt hat, ist die Vielschichtigkeit dieses kurzen Romans. Die Autorin streift nicht nur Themen wie Klimawandel und Fluchtbewegungen, sondern auch politische Manipulation und gesellschaftliche Verantwortung. Die Elefanten dienen dabei als „Brille“, die unseren Blick auf das eigene politische und gesellschaftliche Handeln schärfen sollen.

All das entfaltet sich in einem leisen, eindringlichen Nachhall. Ich habe erst nach dem Lesen vollständig verstanden, worum es eigentlich geht und konnte viele der Botschaften erst mit etwas Abstand in ihrer Tiefe erfassen.

Was „Das Geschenk“ so besonders macht, ist genau diese Ambivalenz: Es ist Fiktion, aber erschreckend nah an der Realität. Es ist provokant, aber nicht aufdringlich. Und es stellt unbequeme Fragen, die jede Leserin und jeden Leser auf eigene Weise weiterdenken lassen.

Gaea Schoeters ist hier ein scharfsinniger, gesellschaftskritischer Roman gelungen, der in seiner Kürze eine große Wucht entfaltet. Ein Buch, das die Grenzen der Moral auslotet, zum Perspektivwechsel anregt und zeigt, wie wichtig es ist, nicht nur im Kleinen, sondern auch im Großen Verantwortung zu übernehmen.

Ein stilles, politisches Meisterstück – nicht laut, aber eindringlich.