Gesellschaftskritik in der Lightversion

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
evaczyk Avatar

Von

Die Anwaltskarriere der Pariser Juristin Soléne erfährt einen dramatischen Stopp, als sich einer ihrer Mandanten vor ihren Augen nach seiner Verurteilung in den Tod stürzt. Die Juristin aus großbürgerlicher Familie erleidet einen Zusammenbruch. Das traumatische Erlebnis hat einen Burn-Out ausgelöst, aus dem sich die Hauptfigur in Laetitia Colombanis Roman „Das Haus der Frauen“ erst wieder ins Leben zurücktasten muss. Ihr Psychiater empfiehlt ehrenamtliches Engagement, um überhaupt wieder unter Menschen zu kommen.

Als Soléne die Ausschreibung für eine „öffentliche Schreiberin“ sieht, glaubt sie zunächst, hier gehe es um Schriftsätze für Behörden. Statt dessen findet sie sich im einst von der Heilsarmee eingerichteten „Palast der Frauen“ wieder. Es ist ihre erste Begegnung mit dem Präkariat, mit Frauen, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, die drogensüchtig sind, jahrelang auf der Straße gelebt haben oder als Flüchtlinge aus Afrika die gefährliche Reise über das Meer auf sich genommen haben. Sie fühlt sich zunächst überfordert von diesen Frauen, die zunächst nicht so recht wissen, was sie von ihr halten sollen. Erst nach und nach öffnen sie sich und erzählen ihre Geschichten.

Es sind vor allem die Geschichten dieser Einzelschicksale, die sich episodenartig durch Laetitia Colombanis Roman „Das Haus der Frauen“ ziehen. Solénes Weg aus ihrer Lebenskrise und ihr Kampf mit den eigenen Dämonen verbindet diese Geschichten wie eine Klammer. Hinzu kommt auf einer weiteren Erzählebene der Rückblick auf die Vergangenheit des „Palast der Frauen“ und seine Gründerin, die Heilsarmee-Offfizierin Blanche Peyron, die gegen alle Widerstände einen Zufluchtsort für Frauen in Not durchsetzte.

Diese Not ist nicht auf das 19. Jahrhundert beschränkt, wie Soléne erfährt. Da ist die Frau aus Guinea, die aus ihrer Heimat geflohen ist, um die kleine Tochter vor Genitalverstümmelung zu retten, aber ihren Sohn zurücklassen musste und darüber zu zerbrechen droht. Eine andere Frau schafft es nach dem jahrelangen Leben auf der Straße immer noch nicht, ihr Zimmer als ein dauerhaftes Zuhause zu sehen, sondern schläft inmitten ihrer Taschen, wo immer sie die Müdigkeit übermannt.
Soléne beginnt, auch jenseits des „Palast der Frauen“ die Armut im Alltag zu registrieren, findet neue Energie im Gefühl, für „ihre“ Frauen etwas ausrichten zu können.

Der Versuch, möglichst viele Schicksale in gut 250 Buchseiten zu packen, ist allerdings auch eine Schwäche des Romans von Laetitia Colombani. Denn den Figuren fehlt durchgehend die Tiefe für eine echte Sozialstudie, die Erfahrungen mit Drogen und Obdachlosigkeit, Flucht und psychischen Problemen bleiben schablonenhaft und auch die Figur der Soléne und ihrer Veränderung durch soziales Engagement ist irgendwie vorhersehbar. Herausgekommen ist ein eingängig geschriebener Wohlfühlroman über eine Frau, die in einer Sinnkrise ihr wahres Ich entdeckt. Dass Laetitia Colombani ursprünglich aus der Filmbranche kommt, ist dem Buch anzumerken. Allzu schwere Kost soll die Unterhaltung nicht belasten. Das Gefühl, das bei mir zurückbleibt: Gut gemeint, aber mit allzuviel Weichzeichner umgesetzt.