Winterdunkel – eine spannende, paranoide Reise in die schwedische Einöde

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smartie11 Avatar

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„In meinem Geist hat Solhöga die Gestalt von etwas Bewusstem angenommen, von einem schlummernden Wesen. Es ist nicht nur ein Haus. Es hat mehr als vierzig Jahre auf mich gewartet. Darauf, dass wir zurückkehren und seine Geheimnisse erkunden. Es kommt mir lebendig vor. So als ob alles, was hier geschehen ist, alles, von dem wir noch nichts wissen, wie giftiger Schimmel in den Wänden sitzt. Und viele stille Jahre Zeit hatte, sich auszubreiten und um sich zu greifen. Es wird uns nicht loslassen. Es will das Leben aus uns herauspressen.“ (S. 290)

Meine Meinung:
Camilla Sten hat zusammen mit ihrer Mutter, der schwedischen Bestseller-Autorin Viveca Sten, bereits mehrere Bücher geschrieben und mit „Das Haus der stummen Toten“ nun ihren zweiten Solo-Thriller veröffentlicht.
Ich war sofort fasziniert von der Grundidee dieses Thrillers: Eleanor Fälth findet ihre ermordete Großmutter Vivianne auf und begegnet dabei dem Mörder, doch aufgrund ihrer Prosopagnosie (Gesichtsblindheit) kann sie diesen nicht identifizieren. Darüber hinaus liebe ich das Setting, dass sich die Autorin für ihre Geschichte erdacht hat: der alte Gutshof Solhöga, der sich weitab der Zivilisation mitten in der schwedischen Wildnis befindet und um den Vivianne Zeit ihres Lebens ein großes Geheimnis gemacht hat. Dieses Setting sorgt für eine paranoide Grundstimmung und ein unterschwellig stets vorhandenes, latentes Gefühl der Bedrohung. Geschickt spielt Camilla Sten dabei mit den psychischen Problemen ihrer Protagonistin Eleanor, so dass es bereits ab Seite 50 erstmals richtig spannend wird.
Nach und nach häufen sich die rätselhaften Ereignisse in Solhöga, während uns ein zweiter Handlungsstrang parallel mit in das 1965 nimmt, in dem Solhöga noch der unbeschwerte Sommersitz der Familie Fälth ist und der aus der Perspektive des jungen Hausmädchens Annuschka erzählt wird. Schnell wird klar, dass beide Handlungsstränge ursächlich miteinander zu tun haben müssen, doch wie die schicksalsschwere Verbindung tatsächlich aussieht, offenbart sich natürlich erst gegen Ende. So garantiert dieses Buch spannende und extrem atmosphärische Lesestunden und hat mich mit seiner Art zwischenzeitlich sogar ein bisschen an die Klassiker von Agatha Christie erinnert.
Am Ende ergibt sich eine dramatische Auflösung, die sich im letzten Fünftel immer weiter herauskristallisiert hat. Hier fehlte es für meinen Geschmack dann doch ein bisschen an Raffinesse, was der guten Leseunterhaltung aber für mich keinen Abbruch getan hat. Ein paar kleinere Schwächen hat dieser Thriller dann aber doch: Zum einen konnte ich die charakterliche Entwicklung einer der Protagonistinnen nicht wirklich nachvollziehen und fand sie so auch nicht unbedingt glaubhaft. Das muss wohl auch der Autorin selbst aufgefallen sein, denn auf den allerletzten fünf Seiten des Buches versucht sie, dies noch zu erklären, was auf mich dann doch etwas gezwungen gewirkt hat. Zum anderen noch eine weitere Kleinigkeit: Der Abschiedsbrief eines Selbstmörders, in dem dieser noch schreibt, wo er den Autoschlüssel gelassen hat… nun ja.
Alles in allem hat mich dieses Buch aber wirklich sehr gut unterhalten und mir spannende und extrem atmosphärische Lesestunden beschert!

FAZIT:
Spannende Leseunterhaltung, die durch eine besondere Grundidee und ein extrem atmosphärisches Setting glänzt, wenn auch mit ein paar Schwächen.