Türen, die sich öffnen und schließen, sich drehen, neue Perspektiven eröffnen.

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kleine hexe Avatar

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Unglaublich stimmungsvoller Roman. Ob im kolonialen Südostasien der 20er Jahre oder in Südafrika Mitte des 20. Jahrhundert, Tan Twan Eng fängt die Atmosphäre wunderbar filigran ein, zeigt uns eine längst untergegangene Welt voller Exotik und Schönheit.
Es ist auch eine Welt voller Schmerz und Tränen. Persönlicher Schmerz, Menschen die von den Konventionen der Zeit gezwungen, in lieblosen Ehen gefangen sind. “Schweigend saßen wir da und verbargen unsere wahren Gedanken. Das, was eine Ehe aufrechterhielt, was sie Jahr für Jahr weiter bestehen ließ, waren die Dinge, die unausgesprochen blieben, die Wahrheiten, die wir so gern offenbart hätten, aber hinunterschluckten, zurückdrängten in die tiefsten, dunkelsten Winkel unserer Herzen.” (S. 296)
Aber auch der soziale Schmerz der Kolonialzeit kommt zur Sprache. Die Briten fühlen und führen sich wie die Herren auf, alles muss ihnen unterstehen. Und die Sultanate Malaysias, die nicht von Briten besetzt sind, müssen britische Berater dulden.
Eine historische Person ist Ethel Proudlock, deren Geschichte damals, 1910 die Politik bewegte: Eine weiße Frau erschießt ihren Liebhaber, wird von einem englischen Gericht in Kuala Lumpur zum Tode verurteilt, doch der Sultan begnadigt sie, mit der Bedingung, das Land sofort zu verlassen. Die Kolonialzeit hat seltsame Blüten getrieben. Die Geschichte ist vielleicht auch deshalb von Bedeutung, weil ein berühmter englischer Schriftsteller sie literarisch verarbeitete.
Wir erfahren auch etwas aus dem Leben des britischen Schriftstellers William Somerset Maugham, der auf seinen ausgedehnten Reisen in Südostasien auch in Malaysien einige Zeit verbracht hat. Mit ihm beginnt auch der Roman, genauer gesagt, mit einem Ausspruch von ihm: “Eine Geschichte kann einen Namen über die Wolken, ja über die Zeit hinaustragen wie ein Vogel der Berge”.
Eine andere verbriefte historische Persönlichkeit im Roman ist Dr. Sun Yat Sen, der sich nichts geringeres als Lebensziel gesetzt hatte, als den chinesischen Kaiser zu stürzen und wurde erster provisorischer Präsident Chinas. Während seiner Zeit als Revolutionär und von den chinesischen Machthabern verfolgt, hielt Sun Yat Sen von den Chinesen in Malaysia etliche Vorträge, getarnt als Vorlesungen über chinesische Literatur, hauptsächlich über “Geschichten über Rebellionen und Verschwörungen zum Sturz von Kaisern” (S. 135). sozusagen ein Wink mit dem Zaunpfahl, gegen den jedoch die chinesische Botschaft nichts einwenden konnte.
Das Buch ist in Ich-Form geschrieben. Leslie Hamlyn erzählt von ihrem Leben in Penang, im Kasuarinen Haus, von ihrer zunehmend lieblosen Ehe mit dem Rechtsanwalt Robert Hamlyn, von ihrer Liebe zu dem Chinesen Dr. Arthur Loh, einem Freund und Unterstützer von Sun Yat Sen.
Die Häuser spielen im Roman eine große Rolle. einmal das Kasuar Haus in dem Leslie mit ihrer Familie wohnt, umgeben von einem großen Garten, eine Veranda, die zum Verweilen einlädt, Gästezimmer für Somerset Maugham und seinem Sekretär und Liebhaber, die Kinderzimmer, Wohnzimmer, Frühstückszimmer, kurz, allen Annehmlichkeiten eines englischen Landhauses in Fernost. Oder, mein Favorit, das Haus der Türen von Arthur Loh. An den Wänden und in den großen Räumen hängen alte Holztüren von Tempeln oder alten Häusern. “Langsam drehten sich die Türen in der Luft wie im leichten Wind um sich selbst trudelnde Blätter, endlos fallend, nie die Erde berührend.” (S. 211)
Unglaublich schöne Sprachbilder (gekonnt übersetzt von Michaela Grabinger) nehmen die Leser gefangen, lassen sie innehalten und das Gesagte Visualisieren: “Libellen mit Buntglasflügeln steppten unsichtbare Nähte in die Luft.” (S. 290). Eines der schönsten Bilder ist die Szene im Meer: “Das Wasser war warm wie Blut…Als ich mich umdrehte, waren das Haus und der Strand in einer Falte der Nacht verschwunden… Plötzlich schwammen wir im kobaltblauem Feuer, und jeder Beinschlag, jede Armbewegung entzündete die ringsum wirbelnden Planktonstürme. Mein Lachen zerriss die lautlose, windstille Nacht, und Willie stimmte ein. Wir tauchten die Köpfe in das flackernde Meer, und wenn wir sie wieder nach oben brachten, spritzte Feuer von unseren Lippen… Ich schöpfte das Meer mit den Händen und staunte über die Feuerschlangen, die sich an meinen Armen hinunterwanden. Wir grinsten uns voller alberner, kindlicher Freude an. Unsere nackten Körper waren im Wasser zu sehen, doch wofür hätten wir uns schämen sollen? Wir waren ja nur zwei in Bernstein eingeschlossene Insekten.” (s. 307-308).
“In dieser Nacht glitten wir Seite an SEite zwischen den Seesterngalaxien dahin, während hoch über uns die Asterisken aus Licht die Fußnoten auf der Seite der Ewigkeit kennzeichneten.” (S. 309).
Es sind diese Bilder, die zusammen mit den behandelten Themen das Buch unvergesslich für mich machen.