Wundervoll

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kascha Avatar

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Das Haus der Türen von Tan Twan Eng haut einem erst mal wirklich happige Themen um die Ohren: Kolonialismus, Frauenrechte, Gesellschaftskritik, Politik, und so geht es auch unaufhörlich weiter. Aber keine Sorge: Die Geschichte ist keine Vorlesung aus der Uni, sondern eine wirklich krasse Geschichte, die einen beim Lesen fesselt und dann kann man das Buch nicht mehr weglegen.

Es geht um Macht und Schuld, um kulturelle Zugehörigkeit und dem Wunsch nach Selbstbestimmung. Und das alles ist in die komplexen gesellschaftlichen Gefüge des kolonialen Malaysia der 1920er Jahre eingebettet. Damit haben wir nicht nur ein politisch brisantes Panorama, sondern mit der Geschichte um die Hauptprotagonistin auch ein zutiefst persönliches, feministisches Porträt einer Frau, die beginnt, sich gegen das Gefüge aufzulehnen, in das sie geboren wurde.
Und diese Frau ist Lesley Hamlyn, der britischen Kolonialgesellschaft angehörig und lebt mit ihrem Mann Robert in Penang. Nach außen hin führt sie ein komfortables, gutbürgerliches Leben. Doch wie so viele Frauen ihrer Zeit ist auch Lesley eine Figur, die eine Rolle spielt: diszipliniert, loyal, angepasst.
Zumindest bis W. Somerset Maugham – der berühmte, (reale) britische Schriftsteller – zu Besuch kommt, und etwas in ihr zu vibrieren beginnt.

Im Austausch mit Maugham beginnt sie sich zu erinnern und erzählt ihm von einer Affäre, die sie einst mit einem chinesischen Revolutionär hatte – und von ihrer Verstrickung in einen politisch brisanten Mordfall, der stark an den historischen Fall der Ethel Proudlock angelehnt ist.

Tan Twan Eng nutzt diese Erzählung mit Maugham, um nach und nach die Risse in Lesleys scheinbar glatter Fassade sichtbar zu machen. Ihre Geschichte ist eine, wie sie sicherlich viele Frauen dieser Zeit erlebt haben – in der Spannung zwischen gesellschaftlicher Rolle und individuellem Verlangen, zwischen dem Wunsch nach Zugehörigkeit und dem Drang nach Freiheit.
(Ist es heute denn anderes?)

Lesley ist keine klassische Heldin – sie ist widersprüchlich, verletzlich, dann aber auch wieder irgendwie pragmatisch, kampfeslustig und vor allem voller unterdrückter Sehnsucht. Und gerade dadurch wird sie zu einer Figur, in der sich sehr viele Leserinnen (und Leser) wiederfinden können.

Auch die Nebenfiguren sind wirklich ausführlich und komplex erschaffen: Robert, Lesleys Ehemann, erscheint zunächst als gütiger, verständnisvoller Mann – doch je weiter sich die Geschichte aufbaut, desto klarer wird, dass sein Wohlwollen an ziemlich heftige Bedingungen geknüpft ist. Somerset Maugham, ist meist der beobachtende Chronist und bleibt auf kluge Weise ambivalent – er ist mittendrin, aber doch nie wirklich dabei. Und dann ist da noch der chinesische Revolutionär, der sozusagen der radikale Kontrapunkt zur kolonialen Weltordnung ist, sich auflehnt und gleichzeitig eben auch eine erotische Brise ins Buch bringt, die man zu Beginn nicht erwartet hätte.

Feministisch und gesellschaftskritisch liest sich “Das Haus der Türen” als eine Erinnerung, genau hinzuschauen und die kleinen Gesten des Widerstands nicht zu übersehen, die sonst unsichtbar bleiben.

Tan Twan Eng entlarvt subtil die patriarchalen und kolonialen Machtstrukturen, die das Leben seiner Figuren bestimmen. Besonders der historische Fall der Ethel Proudlock – eine Frau, die verurteilt wurde, weil sie ihren mutmaßlichen Vergewaltiger erschoss, kann als Spiegel struktureller Ungerechtigkeit gesehen werden und ist ein wichtiges Puzzle, um die Geschichte auch in den richtigen Kontext setzen zu können. Auch die Türen sind nicht nur Türen, sondern ein Sinnbild. Das müssen die Lesenden dann für sich entscheiden, welchen Sinn sie den Türen zuschreiben wollen.

Sprachlich ist der Roman ruhig, poetisch und gleichzeitig aber doch sehr präzise. Vor allem wenn es um die Gefühle der jeweiligen Figuren geht, sind diese so geschrieben, dass man sie tatsächlich spüren kann. Die Landschaftsbeschreibungen, das Licht, die Hitze, die Geräusche – alles wird so atmosphärisch gezeichnet, dass man fast meint, das knarrende Tropenholz selbst zu hören, wenn man mit den Figuren auf der Veranda sitzt.

“Das Haus der Türen” ist kein Roman, der laut ist, sondern einer, der einen hinfort trägt, den man nicht einfach so beiseite legen kann - nicht nur weil man unbedingt wissen will, wie alles weitergeht. Sondern weil er einfach so schön ist! Ein literarisch kluges, vielschichtiges, berührendes Werk, das meinen Blick definitiv geschärft hat: für Geschichte, für Machtverhältnisse, für das Leben in Grautönen – und vor allem für die Geschichten von Frauen, die sich aus den engen Korsetts befreien, die man(n) ihnen angelegt hat.