Das Jahr, nachdem die Welt stehen blieb

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lunamonique Avatar

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Was, wenn die Mutter plötzlich stirbt? Wenn sie mitten aus dem Leben gerissen wird und ihren Ehemann Alex, ihre 15jährige Tochter Pearl und Baby Rose zurücklässt? Autorin Clare Furniss greift in ihrem Debütroman „Das Jahr, nachdem die Welt stehen blieb“ ein hoch emotionales Thema auf und zaubert daraus eine sehr berührende Geschichte.

Die 15jährige Pearl gibt ihrem Stiefvater Alex und ihrer kleinen Schwester, Frühgeburt Rose, die Schuld am Tod ihrer geliebten Mutter Stella. Alex hat sich noch ein Baby gewünscht und Stella dazu überredet. Bei der Geburt von Rose ist Stella gestorben. Für Pearl ist an dem Tag die Welt stehen geblieben. Sie hasst Rose, die sie Ratte nennt, und kann ihrem Stiefvater nicht verzeihen. Über ihren Schmerz und ihre Wut redet sie mit keinem Menschen, nicht mal mit ihrer besten Freundin Molly. Pearl forscht nach, wer ihr leiblicher Vater ist. Könnte er die Rettung für sie sein?

Die Geschichte beginnt aufrührend mit der Fahrt zur Beerdigung. Sowohl Pearl als auch Stiefvater Alex stehen unter Schock. Alex ist so sehr mit seiner Trauer beschäftigt, dass er sich nicht um seine Tochter kümmern kann. Seit dem Tod der Mutter macht Pearl die Einsamkeit zu schaffen. Sie fühlt sich ungeliebt und grenzt sich von allem aus. Ihrem körperlichen Zustand ist anzusehen wie es ihr geht. Pearls einziger Hoffnungsschimmer ist die Anwesenheit der Mutter, die nicht erscheint, wenn es sich Pearl wünscht, sondern wann es ihr passt. Die Mutter ist dann körperlich vorhanden. Pearl kann sie anfassen, mit ihr sprechen. Diese Zweisamkeit der Beiden rührt zu Tränen und ist oft auch voller Humor. Die Zwei streiten sich wie im echten Leben. Autorin Clare Furniss lässt den Leser tief in die Geschichte eintauchen. Einige Szenen bewegen so sehr, das die Tränen ganz von alleine zu laufen beginnen. Pearl errichtet einen Eispanzer um sich und lässt niemanden an sich heran. Ganz leise schleicht sich die Liebe zu einem Jungen in die Geschichte. Sie nimmt nur wenig Raum ein. Pearls Trauer frisst sie auf. Die Geschichte ist in Kapiteln aufgebaut, die die einzelnen Monate kennzeichnen. Der Titel ist wörtlich zu nehmen. Es geht genau um das Jahr, nachdem für Pearl die Welt stehen blieb. Ist sind der Aufbau, die Charaktere und die Nähe zur Realität, die überzeugen. Mit einfachen, grandiosen Mitteln werden die Personen und die Geschichte greifbar. Die Veränderungen sind zu spüren. Anfangs sieht eine Frühgeburt zerbrechlich und nicht besonders schön aus. Pearls Empfindungen gegenüber ihrer Schwester sind nachzuvollziehen. Erstaunt muss Pearl feststellen, dass sich Rose zu einem hübschen, kleinen Menschen wandelt. Auch Pearl sucht die Veränderung. Es kann nicht so sein wie vor dem Tod der Mutter. In der Geschichte hat Autorin Clare Furniss die Rollen vertauscht, nicht der Ehemann gibt dem gerade geborenen Kind die Schuld am Tod der Mutter. Im Gegenteil, er liebt Rose über alles. Es ist die Tochter, die Schuldige für das Unfassbare sucht und findet. Eine ungewöhnliche, schockierende und doch verständliche Sichtweise.

Das Cover mit dem aufgeschlagenen, halben, leeren Hühnerei verströmt Humor. Die Geschichte ist tatsächlich nicht durchweg ernst und traurig. Mutter Stella bringt als rauchender, lachender und beschämter Geist Humor hinein. Auch die grelle rote Farbe springt auf den Zug des Humors auf. Kein Cover hätte annähernd den Inhalt wiedergeben oder auch nur darauf vorbereiten können. „Das Jahr, nachdem die Welt stehen blieb“ ist eines dieser Bücher, das man nie vergessen wird. Nachfolgend ein Zitat, das erahnen lässt, worauf sich der Leser mit diesem großartigen Buch einlässt. „Nichts stimmt hier. Mum hätte das überhaupt nicht gefallen: die feierliche Musik, die dröhnende Stimme des Pfarrers. Ich höre weg. Immer noch frage ich mich, wie ich hier gelandet bin: wie die Welt einfach stehen bleiben, mein bequemes, berechenbares Leben beenden und mich an diesem kalten, fremden Ort zurücklassen konnte.“