Bewegender Rückblick auf eine Kindheit und Jugend

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Constanze Neumann schreibt diesen autobiographischen Roman („www.zeitzeugenbuero.de“) über ihre aus der DDR stammende und nach einer misslungenen Flucht von der Bundesrepublik freigekaufte Familie aus ihrer Sicht als Kind und Jugendliche, aber mit 35 Jahren Distanz zum Eintreffen im „goldenen“ Westen.
Eigentlich handelt es sich bei diesem Buch um eine chronologische Aneinanderreihung von Erlebnissen und Anekdoten. Sie erzählt von dem Fluchtversuch, nach dem sie als Dreijährige von der Großmutter betreut wird. Die sehr junge Mutter kommt ins Frauengefängnis, wo sie schwer erkrankt und ihre Karriere als Geigenvirtuosin aufgeben muss, der Vater ins berüchtigte Gefängnis in Bautzen.
Als sie fast sechs Jahre alt ist, gelangt die Familie auf Umwegen nach Aachen. Der fast 50-jährige Vater wird Leiter der dortigen Musikschule und tut sich infolge seiner Sozialisation sehr schwer. Er verzweifelt an der „rheinländischen“ Mentalität der Kolleg*innen und Musikschüler*innen wie auch an der „grünen“ Einstellung und Lebensweise der Nachbarn. Auch die politische Annäherung an die Sowjetunion missfällt ihm. Trotz allem redet er sich den Westen „schön“.
Die Mutter leidet an ihren vergeblichen Versuchen, die eigenen hohen Ansprüche beim Geige spielen zu erfüllen.
Die Tochter legt ihren Dialekt ab und versucht, sich an die Gleichaltrigen anzupassen, was ihr aber oft vom sehr strengen, verständnislosen Vater verwehrt wird. Die nahezu einzigen konfliktfreien Zeiten erlebt sie bei den vielen Urlaubsreisen und den Treffen mit ihrer in der DDR zurückgebliebenen Großmutter im sozialistischen Ausland.
Mit ihrer Distanz gelingt es Constanze Neumann, diese schwierigen Umstände ihres Aufwachsens mit einer Mischung aus Ironie, Humor, Sarkasmus, Zuneigung, auch etwas Selbstmitleid sehr lesenswert darzustellen. Sie gibt dabei sehr viel von sich und ihrer Familie preis, weshalb es nicht verwundert, dass das Buch erst Jahre nach dem Tod des Vaters 2011 geschrieben wurde. Hilfreich für das Verständnis ist es, wenn man die Grenze zur DDR selbst erlebt hat.
Mit etwa 180 Seiten ist „Das Jahr ohne Sommer“ relativ kurz, es liest sich sehr leicht und ist durchaus aktuell in Zeiten, in denen Russland die Ukraine überfällt und in denen die Medien wieder häufiger über Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen reflektieren.