Kleines graues Land

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polly1000 Avatar

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Wie ist es, aus der "kleinen grauen DDR" in den "goldenen Westen" zu fliehen und sich dort ein neues Leben aufzubauen? Nach einer gescheiterten Flucht kommt die Erzählerin zunächst in eine Kinderheim und lebt dann fast 2 Jahre bei ihrer Großmutter in Leipzig, der Heimatstadt der Familie. Das Leben in dem kleinen grauen Land wird gut widergespiegelt, besonders interessant finde ich, dass es in Leipzig stattfindet und nicht, wie so oft in Büchern, in Berlin. Als Leipzig-Kenner ist mir das eine besondere Freude.
Als die Familie nach 2 Jahren und einem Gefängnisaufenthalt der Eltern endlich zusammen in Westdeutschland leben darf, beschreibt die Autorin eindrucksvoll die Zerrissenheit und die Trauer um die verlorene Heimat, um das unbedingt Dazugehören wollen in der neuen Heimat. Die Flucht hat lebenslange Auswirkungen auf die ganze Familie, das wird hier sehr deutlich. Die bedrückte und eigentümliche Stimmung spiegelt sich durch das ganze Buch wider. Zudem wird gezeigt, dass auch im Westen nicht alles gold ist, was glänzt und es sehr kräftezehrend und schwer ist, sich eine neue Existenz aufzubauen. Man fragt sich manchmal tatsächlich: War es das wert? Ein Leben in Freiheit, Denkfreiheit, Reisefreiheit ist das eine, aber die traumatischen Erlebnisse der Flucht, der Gefängnisaufenthalt, an dem die Mutter zerbricht und psychisch und physisch schwer krank wird, die Großmutter aus Leipzig, die nur aufwändig im ausländischen sozialistischem Ausland getroffen werden darf, all das lässt einem die Frage stellen: Hätte die Familie ein besseres oder schlechteres Leben gehabt, wären sie geblieben? Dieses Buch regt sehr zum Nachdenken an, ist in einem schönen Schreibstil geschrieben und gefällt mir sehr gut.

Was mir an diesem Buch nicht so gefällt: Man bekommt als Leser keinen Zugang / keine Nähe zu der Erzählerin. Sie bleibt einem irgendwie fremd. Das Buch hat sehr wenige Seiten, dafür finde ich es ehrlich gesagt einfach zu teuer.