historisch interessant und lesenswert

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REZENSION – Bislang kannte man Stefanie Gerhold (57) als Übersetzerin aus dem Spanischen. Im Februar veröffentlichte sie nun anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der ersten Ausstellung der dreieinhalbtausend Jahre alten Nofretete-Büste ihren biografischen Debütroman „Das Lächeln der Königin“ (Galiani Verlag) über Leben und Wirken des Berliner Textilkaufmanns, Wohltäters und Kunstmäzens James Simon (1851-1932). Zwölf Jahre zuvor hatte der Archäologe Ludwig Borchardt (1863-1938) diese Büste zusammen mit anderen Kunstschätzen bei Grabungen in der antiken Stadt Tell el-Amarna entdeckt und nach amtlicher Fundteilung im Jahr 1913 nach Berlin bringen lassen, wo sie James Simon als alleiniger Finanzier dieser Grabungen entgegennahm. Doch politische Streitigkeiten zwischen Frankreich, Ägypten und Deutschland verhinderten über ein Jahrzehnt die Ausstellung dieser Büste, weshalb sie erst Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs endlich 1924 erstmals gezeigt werden konnte: „Nach fünf mageren Jahren als Republik hatten die Berliner wieder eine Königin. Alle verehrten sie. Die Fachwelt stand kopf.“ Bis heute ist die Nofretete-Büste eines der bekanntesten Exponate der Berliner Museumsinsel.
Stefanie Gerhold lässt in ihrer Romanbiografie das Berliner Bürgertum zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebendig werden mit besonderem Blick auf die soziale Stellung der längst assimilierten jüdischen Oberschicht. Sowohl James Simon als auch Ludwig Borchardt waren Juden. Beide sahen sich trotz ihrer herausragenden Leistungen - im Falle Simons trotz seiner privater Stiftungen gemeinnütziger Einrichtungen - nach verlorenem Weltkrieg und wieder erstarkendem Nationalismus immer häufiger teils verdecktem, teils offen gezeigtem Antisemitismus ausgesetzt. „Immer gab es jemanden, dem es nicht gefiel, dass jetzt auch Juden mit am Tisch saßen. Das war in den Kunstvereinen so, und in den Wirtschaftsverbänden und wahrscheinlich auch in den Sportclubs.“ Vor allem diese gesellschaftliche Schieflage zwischen der seit der Gründerzeit im Kaiserreich gewachsenen wirtschaftlichen und kulturellen Kraft des jüdischen Bürgertums und dem gleichzeitigen Erstarken des meist im Neid begründeten Antisemitismus bildet einen Schwerpunkt des Romans. So lässt Gerhold den Archäologen Ludwig Borchardt, Bruder des damaligen Bestseller-Autors Georg Hermann („Die daheim blieben“, Erstveröffentlichung 2023), nach seiner Anstellung als Attaché im deutschen Konsulat in Kairo erzählen: „Aber jetzt kommt dieser von Bissing [Anm.: Friedrich Wilhelm von Bissing (1873-1956) war ebenfalls Ägyptologe und somit Konkurrent Borchardts] und will das um jeden Preis verhindern. Er lässt die übelsten Verleumdungen auf mich los. Ich sei jüdisches Geschmeiß, … , unsereins würde Deutschland zersetzen.“
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise und Hyperinflation verarmte auch James Simon. Er verlor nicht nur sein Unternehmen und seine Villa in der Tiergartenstraße, sondern auch gesellschaftlichen Wert und Ansehen als ehemals finanzstarker Kunstmäzen. Jetzt bekam er deutlich zu spüren, was viele zuvor nur hinter seinem Rücken gedacht haben mögen: „Denn eines galt gestern wie heute: Sie konnten machen, was sie wollten. Es war nie genug. Immer blieben sie, was sie waren. Geduldete Juden.“
Als einer der reichsten Berliner und größter Wohltäter zu Kaisers Zeiten umschwärmt, bewundert und auch beneidet, geriet der nun verarmte James Simon bald in Vergessenheit. Letzte Erinnerungen an ihn vernichtete dann noch das Nazi-Regime. Angesichts der latent unsicheren Stellung des jüdischen Bürgertums vermutet Autorin Stefanie Gerhold hinter der Selbstlosigkeit Simons einen gewissen Selbstschutz. Deshalb müssten Menschen wie er wieder ins rechte Licht gerückt und gewürdigt werden. „Ich sehe meinen Roman als einen Beitrag in diese Richtung“, sagte die Autorin in einem Interview. Dies ist ihr mit ihrer historisch interessanten, lebendig geschriebenen und unbedingt lesenswerten Romanbiografie „Das Lächeln der Königin“ absolut gelungen.