Beeindruckendes Zeitgemälde

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matheelfe Avatar

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„...Das Läuten der Haustürglocke ließ Magda zusammenzucken, als hätte man ihr einen Schlag versetzt. Sie war wohl kurz eingenickt, hatte kein Auto kommen hören. Bertram hat einen Schlüssel, das war ihr erster Gedanke. Er würde niemals läuten – schon gar nicht um diese Uhrzeit...“

Vor der Tür steht Conrad, Bertrams Freund und Polizist. Bertram wird nicht zurückkommen. Der Staatsanwalt wurde erschossen.
Ein Jahr später, im Jahre 1920, verlässt Magda Hildesheim. Sie nimmt eine Stelle als Polizeiärztin in Berlin an. Der Mörder ihres Mannes wurde bisher nicht gefunden. Noch ahnt sie nicht, dass in Berlin ein entscheidendes Puzzleteil dafür liegt.
Das Autorenduo hat einen spannenden historischen Roman geschrieben. Die Geschichte lässt sich flott lesen und hat mich schnell in ihren Bann gezogen.
Der Schriftstil ist abwechslungsreich und ausgefeilt. Die Personen werden gut charakterisiert.
Für Magda ist der Wechsel von der Kleinstadt nach Berlin im ersten Moment ein Schock. Die quirlige Metropole überfällt sie. Bei der Ankunft am Bahnhof wird ihr gleich der Koffer gestohlen.
Ihre beruflichen Aufgaben sind vielfältig. Sie wird bei einem Gewaltverbrechen hinzugezogen, wenn Kinder involviert sind. Außerdem ist sie in den Gefängnissen für die Untersuchung der inhaftierten Frauen zuständig. Gleiches gilt für Prostituierte. Hier gilt es, Spuren von Syphilis zu erkennen.
Schnell lernt Magda die Schattenseiten Berlins kennen. Frauen, die sich durchschlagen müssen, weil der Mann im Krieg geblieben oder mit körperlichen und seelischen Wunden zurückgekommen ist, und Kinder, um die sich niemand kümmert, kreuzen ihren Weg. Durch die Fürsorgerin Ina, die ihr eine gute Freundin wird, erfährt sie vom Kinderhandel. Ich mag den Schriftstil, der selbst traurigen Szenen eine feine Prise Poesie enthält:

„...In Olgas schneeweißem Gesicht wirkten ihre Augenschatten noch dunkler. Das Kind würde das Gleichgewicht auf dem Seil, das über dem Abgrund zwischen Leben und Tod gespannt war, nicht halten können...“

Magda ist in einer Pension untergekommen. Hier wird sie mit verschiedenen Frauentypen konfrontiert. Von Doris, einer jungen Frau hat sie diesen Eindruck:

„...Auch Magda, die hinzugekommen war, sah diesen Blick in den graublauen Augen des Mädchens. Dieser Hunger nach Leben, die ungestillte Lust auf Abenteuer las sie darin...“

Und es zeigt sich die zweite Seite der Großstadt. Frauen erkennen ihre eigne Kraft und Stärke und wollen ihren eigenen Weg gehen, nicht nur Anhängsel eines Mannes sein. Das ist nicht immer einfach und kann manchmal erst durch ein dunkles Tal führen.
Ab und an wird die Geschichte von feinem Humor durchzogen.

„...Ein preußischer Beamter reißt keine Bäume aus, Frau Doktor. Er wartet, bis sie von selbst umfallen und erlässt dann ein Gesetz gegen das Umfallen von Bäumen...“

Die Autoren ermöglichen mir einen Einblick in alle Bevölkerungsschichten Berlins. Ich darf Magda in die dunkle Kellerbehausung begleiten und Celia in die Villen der Reichen und Schönen. Gleichzeitig wird deutlich, dass manches nicht so ist, wie es nach außen scheint. Auf die vielen unterschiedlichen Facetten des Romans kann ich in meiner Rezension nicht eingehen. Das würde den Rahmen sprengen.
Sehr deutlich wird herausgearbeitet, dass Magda als Polizeiärztin das Bindeglied zwischen zwei Welten ist, um eine Formulierung zu verwenden, wie sie sich auch im Buch findet. Einerseits steht sie auf Seiten der Polizei, andererseits hat sie sich als Ärztin um die körperliche und seelische Gesundheit ihrer Klienten zu kümmern. Vor allem,wenn Kinder betroffen sind, kann das ein gefährlicher Spagat sein.
Ein ausführlichen Nachwort informiert mich über die Intentionen der Autoren.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ist ein großartiges Zeitgemälde, dass durch einen hohen Spannungsbogen, eine realistische Handlung, gut ausgearbeitete Gespräche und Protagonisten mit Stärken und Schwächen gekennzeichnet ist.