Die Roaring Twenties in Berlin

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kleine hexe Avatar

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Hoch interessanter Roman über die erste Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als die Weimarer Republik sich gerade etablierte. Hunger und Not haben Berlin fest im Griff, die Polizei kommt mit der Verbrechensaufklärung kaum nach.
Im Laufe des Romans werden wir unterschiedliche Frauen kennenlernen. Zuerst Magda Fuchs, die Hildesheim verlässt um in Berlin Polizeiärztin zu werden. Wenn an Tatorten auch Kinder angetroffen werden, untersucht Magda sie und lässt sie in ein Krankenhaus überweisen. Celia von Liebenau wurde von ihrer Mutter zwangsverheiratet, um eine gute Partie zu machen und weil die Mutter der Meinung ist, die Bestimmung einer Frau ist die Familie: Ehemann und Kinder. Ruth Jessen ist Rechtsanwältin und setzt sich für die Gleichberechtigung der Frauen ein. Ina Dietrich betreut die sozial schwach gestellten, Familien und Kinder. Doris Kaufmann ist das typische junge Mädchen vom Lande, das auf Männer reinfällt und eigentlich immer mehr in die Prostitution abdriftet. Die letzte in diesem Reigen ist Erika Hausner, die Journalistin, die erst mit Artikeln wie wir sie aus der Bild kennen ihr Glück versucht, dann aber mit Hilfe Magda Fuchs Gutes mit ihren Artikeln bewirkt.
Jede dieser Frauen muss sich dem Leben stellen, manche findet ihr privates Glück, andere hingegen erleiden dramatisch Schiffbruch.
Interessant ist, wie die Arbeit der ermittelnden Polizei abläuft. Immer wieder muss Kommissar Wagner feststellen, dass Polizisten, die zuerst am Tatort erscheinen erst mal aufräumen, Tatwaffen abwischen, usw. Damit kann Wagner den Tatort nicht mehr richtig in Augenschein nehmen, falsche Anschuldigungen und Verdächtigungen sind an der Tagesordnung. Dabei verfolgt Wagner das Ziel, die Polizeiarbeit „von oben“ zu verändern. Wenn es oft genug zu fehlerhaften Ermittlungen kommt, muss der Polizeipräsident von Berlin reagieren. Per Arbeitsanweisung wird er den gesamten Polizeiapparat umkrempeln und dabei Polizisten instruieren Tatorte nicht mehr zu verunreinigen oder zu verändern. Interessante Vorgehensweise, außer für die falsch Verdächtigten.
Die Autoren haben den Unterschied zwischen dem beschaulichen, ruhigen und idyllischen Hildesheim und dem hektischen atemberaubenden, rasanten Berlin, wo man kaum zum Luft holen kommt, perfekt eingefangen.
Der Schreibstil ist angenehm flüssig, das "Bärlinerisch " kommt herrlich rüber, die berühmte Berliner Schnauze ist unschlagbar. „aba nu sacht Zerkowski: „Weeßte Dicke“ – so hat er mir jenannt, ick hatte ja imma wat uffe Rippen -, det Gör wird vakooft“ (S. 235). OK, der Inhalt des Satzes lässt einen gruseln, aber die Aussprache! Die Aussprache!