Wie das Leben so spielt

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Roland Buti ist sprachlich versiert. Er schafft wunderbare Bilder, kann atmosphärisch Orte und Landschaften so gekonnt beschreiben, dass man sie vor sich sieht, die Charaktere und ihre Gefühlslagen haben Hand und Fuß. „Das Leben ist ein wilder Garten“, heißt Butis neues Buch und dieser Titel scheint mir Programm zu sein, denn so richtig stringent und zusammenhängend stellt sich die erzählte Geschichte nicht dar.

Im Mittelpunkt steht Ich-Erzähler Carlo Weiss, der als Landschaftsgärtner selbständig ist und interessanterweise exquisite Gärten für betagte, wohlhabende Menschen anlegt. Sein Mitarbeiter Agon stammt aus dem Kosovo, ist ein Hüne von Mann und gleichzeitig eine Seele von Mensch. Er hat sich eine kleine Schrebergarten-Idylle angelegt, die jedoch von den Stadtvätern bedroht wird. Eine Umsiedlung der Kleingartenanlage ist vorgesehen. Als sei das nicht genug, erleidet Agon auch noch einen mysteriösen Überfall.

Carlo selbst hat eine erwachsene, studierende Tochter. Er leidet darunter, dass nicht nur sie die gemeinsame Wohnung verlassen hat, sondern auch seine Frau, die Krankenschwester Ana, gleich mit. Er fühlt sich einsam und empfindet die Lücken in seiner Küche sehr plastisch:
„Sie hatte einiges mitgenommen, was ich nicht ersetzt hatte. (…) Die Proportionen der Küche hatten sich unter dem Einfluss eines sonderbaren Phänomens verändert. Sämtliche Geräusche darin kamen mir deutlich lauter vor. Zwischen den Gegenständen war ein ungewohnter Abstand eingezogen, als hätte sich der Ort, an dem wir sechzehn Jahre lang zweimal am Tag zusammen gegessen hatten, mit der Zeit ausgeleiert.“ (S. 11)

Aufgeschreckt wird Carlo von der Nachricht, dass seine Mutter aus dem Altersheim verschwunden ist. Zum Glück findet er sie schnell, sie ist in einem ehemaligen Luxushotel abgestiegen, das schon bessere Zeiten gesehen hat. Offensichtlich hatte sie schon als junge Frau engen Kontakt zu diesem Haus, dort trifft sie einen alten Freund wieder und darf fortan im Hotel wohnen.
Die alte Dame verliert an Kraft und flüchtet sich zusehends in die Vergangenheit. Dabei lernt der Sohn nicht nur seine Mutter von einer neuen Seite kennen, sondern er erfährt auch viel über deren Leben als junge Frau. Der Umgang mit der demenzkranken Mutter fällt ihm nicht leicht, auch weil er den Wahrheitsgehalt ihrer Erzählungen nicht einschätzen kann. Eine Hilfe im Umgang mit der Mutter wird ihm Noch-Ehefrau Ana. Die Beziehung zu ihr ist nicht spannungsfrei und von ihrer Seite aus höchst ambivalent, was dem Protagonisten sehr zu schaffen macht:
„Meine Sehnsucht schmerzte. Es fühlte sich an wie Heimweh. Die Arme dieser Frau waren mein eigentliches Zuhause, und ich wusste, dass ich mich überall sonst fremd fühlen würde.“ (S.95)

Buti lässt die einzelnen Handlungsstränge für sich wirken. Alle haben sie einen Bezug zur Natur, zu Gärten und zu Vögeln. Jeden einzelnen gestaltet er bildreich und zuweilen poetisch aus, die Figuren haben klare Konturen und Handlungsorten wird Leben eingehaucht. Das ist große schriftstellerische Kunst.

Trotzdem hat mir etwas an dem kleinen Roman gefehlt. Ich hätte mir einen stärkeren Zusammenhang unter den verschiedenen Geschichten und mehr Spannung gewünscht. Mir war klar, dass es sich hier um eine ruhig erzählte Familien- und Freundschaftsgeschichte handelt. Ein bisschen mehr Schwung hätte ihr jedoch gut getan. Alles plätschert (von wunderbaren Formulierungen getragen) vor sich hin, ohne große Überraschungen und ohne komplette Auflösung am Ende. Manche Fragen bleiben offen – wie im richtigen Leben auch. Der Titel des Buches ist offensichtlich Programm: Das Leben ist ein wilder Garten – nicht alles lässt sich in eine gerade Bahn und Struktur bringen. Jedes Leben hat seinen eigenen Kreislauf. Der Klappentext wirkt im Gegensatz dazu reißerisch und weckt andere Erwartungen: eine „ungeahnt glamouöse Vergangenheit“ wird man bei Carlos Mutter vergeblich suchen. Auch biedert sich das Cover den derzeit inflationär im Buchhandel erhältlichen historischen Frauenromanen rund um den Zweiten Weltkrieg an.

Ein lesenswertes, ruhiges, fein geschliffenes Buch ohne nennenswerte Spannungskurve. Brillant formuliert mit kurzen philosophischen Ausflügen. Wer so etwas gerne liest, wird das Buch zufrieden zuklappen. Mir hat der Roman mittelgut gefallen, er lässt sich interessant und flüssig lesen. Langeweile kommt ebenso wenig auf wie ein kräftiger Lesesog. An Butis letzten Roman „Das Flirren am Horizont“, für den der Autor mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet wurde, kommt dieser neue meines Erachtens nicht heran.