Aufwändig recherchiert und intensiv geschrieben!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
scarletta Avatar

Von

Mit großem neugierigem Interesse begegnete die Autorin Anja Jonuleit dem ungelösten Kriminalfall der „Isdal-Frau“ in Norwegen. Moderne Untersuchungsmethoden verwiesen in den letzten Jahren die Herkunft der bereits 1970 ermordeten jungen Unbekannten in Richtung Deutschland. Anja Jonuleit reiste selber nach Norwegen, um die Spuren rund um diesen rätselhaften Kriminalfall zu sammeln.
Sie nahm all die vorhandenen Fäden auf, fügte eine Vielzahl eigener historischer und selbst ersonnener Fäden dazu und webte daraus eine höchst spannende Geschichte um die Isdal-Frau.

Die Journalistin und Biographin Eva würde ja nie dieses Boulevardblatt mit den großen fetten reißerischen Überschriften kaufen, wenn nicht auf der Titelseite ein Phantomfoto prangen würde, das ihr und ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sieht. Es ist das mögliche Gesicht der „Isdal-Frau“, deren Fall nach Jahrzehnten gerade wieder in die Schlagzeilen gerutscht ist. Kann es sein, dass ihre Wurzeln in Deutschland liegen?

Kein Wunder, dass sie sich bald hinter diesen Fall klemmt. Von ihrer Mutter, die ihre Vergangenheit schon immer mit dem Tuch des Schweigens verhüllt hat, braucht sie erst mal keine Hilfe oder Aufklärung zu erhoffen. Im Gegenteil, die Mutter blockt alle Fragen vehement ab. Eva begibt sich auf eine Reise, die sie nicht nur nach Norwegen zum Fundort der ermordeten jungen Frau und zu den Spuren, die sie hinterließ, führt. Die Wege leiten sie auch in die Vergangenheit ihrer Familie, von der sie bislang kaum etwas wusste, und in die dunklen Geschichtskapitel, die Norwegen mit Deutschland verbinden.

Auf einer zweiten Ebene lernen wir Leser*innen Margarete kennen, die in den Wirren des zweiten Weltkrieges 1944 Mutter und Schwester verliert, weil die Sechsjährige aus Trotz fortläuft. Sie wird ein Leben lang eine Suchende bleiben. Aber das Leben hat sie gelehrt, sich durchzuschlagen. Ihr Schicksal treibt sie quer durch Europa, bis sie glaubt in Norwegen mehr über ihre Herkunft zu erfahren.

Immer mal wieder begegnen wir auf der aktuellen Zeitebene dem norwegischen Historiker Laurin. Was hat er mit Evas Suche und dem Schicksal der Ermordeten zu tun? Sein Thema sind die Schicksale der norwegischen Frauen, die sich im Zweiten Weltkrieg mit den deutschen Besatzern eingelassen haben und die sogenannten Lebensborn-Heime der Naziregimes.

Schritt für Schritt nähern sich Evas Nachforschungen, Margaretes Suche und Laurins Funde im Nachlass seines Vaters an.

Sehr interessant ist der Anhang des Romans, der sich sehr ausführlich mit der ganzen Ermittlungsgeschichte des unaufgeklärten Kriminalfalls der Toten aus dem Isdal befasst. Wie detailliert und kunstvoll die Autorin diese Erkenntnisse in die Handlung ihres Romans einfließen ließ!

Fazit

Es fällt schwer, diesen über 400 Seiten starken Roman einzuordnen, denn er hat so viele Facetten. Die Tatsache, dass die Protagonistin ein Familiengeheimnis aufdeckt, macht es nicht zur simplen Familiengeschichte. Ihre aufwendige Spurensuche in diesem „cold case“, bei der Eva unterstützt von einem norwegischen Kommissar der Lösung immer näher kommt, hat durchaus etwas von einem Kriminalroman. Der Spannungsbogen jedenfalls ist perfekt. Hinzu kommen die geschichtlichen und auch politischen Verweise und Darstellungen, die den Roman enorm bereichern.

Diese Mischung aus Familienroman, Krimi, historischen und politischen Hintergründen macht diesen Roman zu einer abwechslungsreichen Lesefreude.

Die Protagonisten sind durchweg sehr authentisch und glaubwürdig. Mit der Hauptfigur Eva fühlt man sich rasch verbunden. Das Schicksal der Isdal-Frau berührt einen zutiefst, auch wenn man ihre Verhaltensweisen nicht immer gutheißen möchte. Ob Sympathieträger wie der clevere norwegische Polizeikommissar oder auch Protagonisten, denen man weniger zugeneigt ist, alle sind sehr klar, mit nötiger Tiefe und nachvollziehbar charakterisiert.

Durch die verschiedenen Handlungs- und Zeitebenen kann man beim Lesen das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln verfolgen. Man zittert mit, wenn auf der Suche Schicht um Schicht abgetragen werden muss, bevor das ganze Ausmaß zu erkennen ist. Spannend und intensiv bleibt es bis zuletzt, denn es fehlt noch ein entscheidender Puzzlestein.

Mir hat diese interessante Verflechtung von realem, ungelösten Kriminalfall mit vielen Spuren, offenen Fragen und Verfälschungen durch die Presse mit der sehr einfallsreichen Fiktion sehr gefallen. Die Verflechtung mit geschichtlichen Ereignissen und politischen Strömungen in Norwegen hat die Geschichte wirklich perfekt gemacht. Anja Jonuleit fasst in diesem Roman so viele Themenbereiche auf, ohne dass er an irgendeiner Stelle überladen erscheint.

Ein Lesegenuss, den ich gerne und begeistert weiterempfehlen möchte.