Familiengeheimnisse

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Anja Jonuleit befasst sich in ihrem aktuellen Roman mit einem der bekanntesten und mysteriösten norwegischen Kriminalfälle, der Isdal-Frau, einer verbrannten Frauenleiche, die 1970 im norwegischen Isdal gefunden wurde. Bis heute konnte sie nicht identifiziert werden, neuere wissenschaftliche Untersuchungsmethoden lieferten aber Indizien, dass sie aus Deutschland stammen könnte, ihre Kindheit vielleicht sogar nur einige Kilometer von meinem eigenen Wohnort verbracht hat.

Anja Jonuleit verknüpft die aus den Ermittlungen bekannten Fakten mit einer fiktiven Geschichte. Schriftstellerin Eva sieht beim Bäcker ein Phantombild auf einer großen deutschen Boulevardzeitung, das ihr und ihrer Mutter (in jungen Jahren) total ähnlich sieht. Es zeigt die Isdal-Frau. Evas Mutter gibt sich zunächst ahnungslos, gibt dann aber zu, dass sie eine Zwillingsschwester hatte, die in den Wirren des Zweiten Weltkrieges verschwunden ist und auch ein DNA Test bestätigt Evas Verwandtschaft mit der Toten, die im Roman Marguerite genannt wird. Sie macht sich daraufhin auf den Weg nach Bergen, um dort mehr über die Isdal-Frau in Erfahrung zu bringen und stößt dort irgendwann auch auf den Geschichtsprofessor Laurin, in dessen Familie es ebenfalls einige Geheimnisse gibt.

Auf einer zweiten Zeitebene wird Marguerites Geschichte erzählt, wie sie als junge Erwachsene beginnt, nach ihrer Mutter und Schwester zu suchen und so schließlich in Norwegen landet, wo sie als kleine Kinder einige Zeit mit ihrer Mutter lebten, wobei Marguerite sich nicht mehr an die Ortsnamen erinnert und mit Unterstützung eines italienischen Fotografen im Land umher reist, auf der Suche nach Orten, die ihr bekannt vorkommen. Dabei benutzt sie immer wieder andere Identitäten, wenn sie in Hotels übernachtet.

Eva versucht, teilweise auch mit Hilfe von noch lebenden Zeitzeugen, zu rekonstruieren, wo ihre verstorbene Tante überall war und ob die Polizei vielleicht doch etwas Wichtiges übersehen hat, was mehr darüber verrät, warum sie auf so grausame Weise sterben musste. Dabei erfährt sie auch immer mehr über die Lebensgeschichte ihrer Mutter und ihrer Großmutter.

Anja Jonuleit ist es sehr fesselnd gelungen, Fiktion und Fakten miteinander zu verknüpfen und der Roman bleibt so bis zuletzt spannend. Auch die deutsche und die norwegische Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus spielen dabei eine Rolle, was ich sehr interessant fand. Ich hatte bis jetzt noch nicht von der Isdal-Frau gehört, obwohl sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch aus Franken stammt. Die Lebensgeschichte der Marguerite im Roman ist auf jeden Fall sehr spannend und man kann sich vorstellen, dass sich alles so zugetragen haben könnte, wie von der Autorin konstruiert. Viele der norwegischen Orte sind mir auch von eigenen Reisen bekannt, was noch einmal einen zusätzlichen Reiz ausmachte. Der Schreibstil von Anja Jonuleit ist anschaulich und gut lesbar, die verschiedenen Zeitebenen sorgen für zusätzliche Spannung und dafür, dass man sich gut in Eva und Marguerite hineinversetzen kann.