Geschichte kann spannend und berührend sein

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Obwohl Anja Jonuleit auf einigen ihrer Bücher, die seit 2010 in loser Reihenfolge erschienen sind, als SPIEGEL Beststeller-Autorin genannt wird (auch auf dem neuen Cover ist dieses Label), habe ich von ihr bis dato nie etwas gehört oder gelesen. Mit „Das letzte Bild“ ist diese „Bildungslücke“ nun auch geschlossen. Die bisher erschienenen Bücher wechseln zwischen Romanen und Krimis, man wird das auch beim Lesen ihres neuen Buches merken, in dem sich die Genres überschneiden. Die Geschichte hat historische Hintergründe, zurückreichend bis in die Nazizeit, Krimi- und Thrillerelemente wechseln mit Szenen eines Familienromans und einer Spurensuche ab.
Aufhänger des fiktiven Romans ist die bis heute nicht aufgeklärte Geschichte um die „Isdal-Frau“, deren Leiche 1970 in Norwegen aufgefunden wurde. Wenn man den Begriff googelt, erscheinen unzählige Einträge im Internet. Die Autorin lässt ihr Alter Ego Eva also auf diese BILD-Geschichte stoßen, die zu ihrem Erstaunen das Phantombild einer Frau zeigt, die ihr bzw. ihrer Mutter verblüffend ähnlichsieht. Wie es der Zufall will, ist Eva Schriftstellerin und sie beginnt mit der Spurensuche, die zuerst auf ihrem Dachboden in den vor Jahren vor dem Wegwerfzwang ihrer Mutter geretteten Kartons beginnt und dann mehrmals nach Norwegen führt. Dort wird Eva nach und nach das Puzzle zusammensetzen. Die Tote ist ihre in den Kriegswirren verschollene Tante Margarete.
Der Roman spielt auf verschiedenen Zeitebenen, die kunstvoll einander abwechseln. Einerseits ist da die Lebensgeschichte des Kindes Margarete, das als deutsches Mädchen in Frankreich bei Pflegeeltern aufwächst und dort dann auch lebt, bis sie die Flucht aus diesem Leben ergreift und mit dem italienischen Fotografen Damiano nach Rom kommt.
Die zweite Ebene ist die Suche Margaretes nach ihren Wurzeln, kreuz und quer vor allem durch Norwegen und zu den ehemaligen Lebensbornheimen. Dort vermutet sie Spuren ihrer Mutter, die als Ärztin in verschiedenen dieser Heime arbeitete.
Margarete ist eine einsame Person, ihr fehlen jegliche familiäre Bindungen und diese Leere versucht sie nun mit allen Mittel zu füllen. Dass es für sie dabei auch gefährlich werden kann, begreift sie zu spät.
Eva, die ihrerseits versucht, jeden Schritt Margaretes zu rekonstruieren, sieht sich dann auch dem wachsenden Interesse ihrer Mutter und deren Bereitschaft, endlich die Familiengeheimnisse zu lüften, gegenüber.
Insgesamt sind alle Erzählstränge glaubwürdig erzählt, die Autorin nutzt auch die Krimi-Elemente gut für die Spannung der Familiengeschichte. Wer sich für Ahnenforschung, Geschichte und Krimis interessiert, findet hier eine gelungene Mischung. Wie die Geschichte ausgeht, will ich hier nicht beschreiben. Das sollte jeder selbst herausfinden, das Lesen lohnt sich auf jeden Fall.
Aber nie ist nur Licht, es fallen auch Schatten. Das sehr informative und ausführliche Nachwort hat leider bei mir einen schlechten Geschmack hinterlassen, als ich das Folgende las „Und weil man als Romanautor*in eine gewisse Freiheit besitzt, war es mir – zum Trost der Leser*innen, vor allem aber zu meinem eigenen – ein Anliegen, die Frau, die ich Margarete genannt habe und die in einem einsamen Tal bei Bergen auf so schreckliche Weise ums Leben kam, zumindest literarisch heimzubringen.“ Was bringt eine gestandene Autorin und einen renommierten deutschen Verlag dazu, Gendersternchen zu benutzen? Wem partout das generische Maskulinum nicht ausreicht, der schreibe doch bitte die Wörter in weiblicher und männlicher Form aus. Wäre das Nachwort das Vorwort gewesen und mir wäre diese Entgleisung am Anfang des Buches begegnete, hätte ich es wahrscheinlich beiseitegelegt.
Dem Nachwort folgen diverse Anmerkungen über die tatsächlichen Erkenntnisse, die es über die „Isdal-Frau“ gibt. Aus meiner Sicht wäre dieser lange Anhang nicht notwendig gewesen, das Nachwort erklärt bereits ausführlich genug, worum es geht und woher die im Roman verwendeten Details stammen.
Beim Lesen hatte ich mehrfach die Idee, dass sich der Roman auch gut für ein Hörbuch eignen würde. Mit Freude habe ich in der Vorschau bei Amazon gesehen, dass es eins geben wird.