Wenn historische und fiktive Geschichte aufeinander treffen

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justm. Avatar

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Man sagt, daß wohl die Hälfte aller Norweger, die sogenannte "Isdal-Frau" kennen bzw. von ihr gehört haben.
Hier in Deutschland wird sie eher True Crime-Fans und Liebhabern des hohen Nordens ein Begriff sein: die unbekannte Tote, die Anfang der 70er, halb verbrannt, im norwegischen Isdal gefunden wurde und zu der es, seit dem Auffinden ihrer Leiche, mehr Fragen als Antworten gibt; die Tote, die seitdem weder identifiziert werden konnte, noch konnte jemand für ihren Tod verantwortlich gemacht werden.

Und so war es letztendlich wohl nur eine Frage der Zeit, daß dieser rätselhafte Fall seinen Einzug in die deutsche Roman-Welt findet.

Und Anja Jonuleit hat mit "Das letzte Bild" wirklich einen verdammt guten Job gemacht, um die tatsächlichen Fakten, die aus dem Kriminal-Fall bekannt sind, mit einer plausiblen und spannenden Geschichte zu verquicken.
Dabei erzählt sie diese auf zwei zeitlichen Ebenen bzw. von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus, wobei sie der mysteriösen Isdal-Frau etwas gibt, daß Forschern und Kriminalisten bislang nicht gelungen ist: eine Identität. Margarete, nennt sie sie.

Als Leser*in begleitet man die fiktive Margarete auf einer irren, irgendwie traurigen, vor allem aber schicksalhaften Reise, auf der sie erst verschwindet, gefunden wird und doch am Ende immer nur auf der Suche nach sich selbst ist.
Auch wenn man keinen wirklichen Einblick in ihr Leben gewinnt, sie immer ein wenig unnahbar bleibt, so passt das doch hervorragend zu dem Mysterium der Isdal-Frau. Die Emotionen werden in diesem Buch eher durch die fiktive Familie generiert, die erst nach Jahren von ihr erfährt, ihr dann langsam aber sicher das wiedergibt, wonach sich Margarete in all der Zeit gesehnt hat: eine Geschichte, vor allem aber eine Familie und ein Zuhause.

Die Autorin hat die beiden Geschichten, die Fiktive und das wenig Bekannte, sprachlich und handwerklich, so gut miteinander verbunden, daß man am Ende nicht nur traurig ist für Margarethe, sondern vor alle für die unbekannte Tote; traurig, daß ihr nach all der Zeit noch immer keine Gerechtigkeit zuteil wurde und sie noch immer nur die geheimnisvolle Isdal-Frau, ohne bekannte eigene Geschichte, ist.

In diesem Zusammenhang sei abschließend noch positiv zu erwähnen, daß Anja Jonuleit am Ende des Buches tatsächlich einige Seiten Sach-Informationen zum Fall angehangen hat.
So kann sich jede*r Leser*in, egal ob man von dem Fall vorab schon einmal etwas gehört hat, ein eigenes Bild machen. Und das ganz unabhängig von der wirklich guten und durch die Bank empfehlenswerten Geschichte in "Das letzte Bild".