Sensibel, warmherzig, ehrlich

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Meine Oma hieß Inge. Sie hat den Zweiten Weltkrieg als Kind miterlebt, und die Ängste aus dieser Zeit hat sie nie ganz abgelegt. Sie hat ihre Heimatstadt nur einmal verlassen… zur Evakuierung. Danach ist sie geblieben. Für sie war Weggehen nie eine Option. Reisen? Kam für sie nicht infrage. Ihre Welt war dort, wo sie verwurzelt war.
Ich war immer anders. Ich wollte raus. Ich wollte mehr sehen, mehr spüren, die Welt entdecken. New York war für mich immer ein Sehnsuchtsort. Ich sage oft: Wenn meine Füße dort den Boden berühren, schlägt mein Herz in einem anderen Rhythmus.
Und genau deshalb hat mich „Das Licht in den Wellen“ so berührt. Denn auch die Inge im Roman ist keine, die bleibt. Sie ist jemand, die losgeht: aus Not, aber auch aus Stärke. Und so wurde dieses Buch für mich nicht nur eine Geschichte, sondern ein emotionales Echo.
Inge ist fast 100 Jahre alt, als sie sich mit ihrer Urenkelin Swantje auf eine Schiffsreise nach Amerika begibt. Während sie über den Atlantik fahren, erzählt sie von einem mutigen Aufbruch von der nordfriesischen Insel Föhr, von einem Neubeginn in New York, und von den Wegen, die sie trotz aller Widrigkeiten gegangen ist.
Der Vergleich zu Elsa drängt sich auf. Auch dort reist eine alte Frau mit ihrer Enkelin und erzählt. Aber „Das Licht in den Wellen“ ist für mich ein anderes Kaliber. Es hat mich berührt, erfasst, an mehreren Stellen zu Tränen gerührt und mich über 450 Seiten lang nicht mehr losgelassen.
Janne Mommsens Sprache ist ruhig, flüssig und trotzdem wunderschön. Sie erzählt so unangestrengt, dass man sich mitten in der Geschichte wiederfindet. Wenn zwischendurch die Mundart von Föhr aufblitzt, wirkt das nicht sperrig, sondern warmherzig und authentisch.
Inge sagt von sich, sie habe nichts Besonderes geleistet. Aber genau das macht sie so besonders. Dass sie trotz allem, was das Leben ihr zugemutet hat, nicht verhärtet ist. Sie ist gegangen, als andere geblieben wären. Sie hat neu angefangen, als vieles zerbrochen war. Und sie hat dabei immer das Herz offen gehalten.
Besonders stark ist die Perspektive: Während Inges Sohn Tom sie als karrieregetrieben und abwesend beschreibt, erkennen wir als Leser die Feinheiten ihres Inneren. Ihre Beweggründe, ihre Trauer, ihr Wunsch, etwas aufzubauen, eben nicht nur für sich, sondern auch für die, die nach ihr kommen.
Wenn ich einen Kritikpunkt äußern müsste, dann vielleicht diesen: Der Roman deutet früh ein dramatisches Geheimnis an, das Inge zur Flucht bewogen hat. Für meinen Geschmack hätte diese Auflösung früher kommen dürfen, nicht, weil sie schlecht ist, sondern weil Inges Geschichte auch ohne diesen Spannungsbogen vollkommen getragen hätte.

„Das Licht in den Wellen“ hat mich tief bewegt. Es hat mich an meine Oma erinnert.An alles, was ich nie gefragt habe. Und an alles, was ich selbst erlebt habe. Sehnsucht, Mut und Orte, die in uns weiterleben.