Direkte Missbrauchsaufarbeitung

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In "Das Lieben danach" nimmt uns die Autorin Helene Bracht (Pseudonym) mit in die Aufarbeitung ihrer eigenen Missbrauchserfahrungen. Im Alter von fünf bis acht Jahren wurde sie von einem Nachhilfelehrer sexuell missbraucht. Eindringlich beschreibt sie den Widerspruch zwischen enormen Schmerzen und dem Gefühl endlich geliebt und gesehen zu werden, etwas besonderes zu sein.

Dass eine solche traumatische Erfahrung nicht spurlos an ihr vorübergeht und sie ihr weiteres Leben auf die ein oder andere Weise begleitet, ist klar. Bracht reflektiert viel und eingehend, über den Missbrauch, ihren Umgang damit, aber auch über die Rolle ihrer Eltern. Und sie bleibt nicht dabei stehen, nimmt ihr weiteres Leben in den Blick. Beispielsweise berichtet sie über eine Beziehung mit einem Heiratsschwindler und wie sie auf ihn hereinfallen konnte, beleuchtet eine beinahe Vergewaltigung, die sie mit Worten abwenden konnte und schließlich erkennt sie auch, dass sie selbst Täterin war.

Ihre Lebensreflexion ist beeindruckend, ehrlich, hart und direkt. Oft blieb mir der Atem weg, oft war ich fasziniert von der Widersprüchlichkeit. Besonders zu denken gab mir, wie Bracht eine Begegnung mit einer Frau schildert, der sie in der Vergangenheit Gewalt angetan hatte, sie sich selbst aber an diese kaum mehr erinnern konnte. Wie oft es einem selbst wohl so ergeht, dass man einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, es selbst aber aus eigener Bedeutungslosigkeit - oder als Schrecken vor einem selbst - verdrängt?

Helene Bracht, die selbst als Psychotherapeutin arbeitet, ist mit "Das Lieben danach" eine tiefgründige Reflexion über ihre Missbrauchserfahrungen gelungen, die sich zwischen Essay, Sachbuch und philosophischer Abhandlung bewegt. Obwohl es zwischendurch seine Längen hat, ist es ein lesenswertes Buch für alle, die an der Thematik interessiert sind und sich von der Direktheit der Sprache nicht abschrecken lassen.