Thriller mit überzeugender erzählerischer Gestaltung (4,5 von 5 Sternen)

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Der Thriller „Das Loft“ von Linus Geschke hat mir bis auf ein paar Kleinigkeiten sehr gut gefallen. Der Autor erschafft nicht nur Charaktere mit Tiefe, sondern auch ein facettenreiches Spannungsgefüge, was die Beziehungsverhältnisse betrifft. Sarah Hauptmann und Marc Lammert als Liebespaar sowie Marc und Henning Järisch als Mitbewohner sind als interessante Kontrastfiguren angelegt. Sarah, aus der kleinbürgerlichen Provinz stammend, behütet aufgewachsen, hinterfragt wenig und kommt egoistisch daher. Es wird deutlich, dass Marc sie aus ihrem elterlichen „Gefängnis“ befreit hat. Sie nimmt sich angesichts des schweren Vorwurfs „Mord“ keinen Anwalt zur Hilfe. Anders hingegen Marc, der sich einen Anwalt leistet, als Jurastudent einiges an Vorwissen im Strafrecht mitbringt, in Hamburg groß geworden ist und der dominantere Part in der Beziehung zu sein scheint. Marc und Henning hingegen zeichnen sich vor allem durch Verhaltensunterschiede aus und dadurch, dass Marc der erfolgreichere von beiden ist. Auch das Ermittlerteam, das den Mord an Henning untersucht, ist gut ausgearbeitet. Wir haben Bianca Rakow, Workaholic und erfolgsorientiert, auf der einen Seite und Peter Höger, Familienmensch und bei der Beförderung übergangen, auf der anderen Seite. Beide nähern sich im Laufe des Buchs einander an.
Besonders überzeugt hat mich die erzählerische Gestaltung des Thrillers. Mal wird aus Marcs Sicht in der Ich-Perspektive erzählt, mal aus Sarahs Sicht. Zwischen den sich abwechselnden Sichtweisen der Verdächtigen werden stets auch Kapitel zur Polizeiarbeit eingestreut. So entsteht ein spannendes Hin und Her und als Leser folgt man mal an dem einen Blickwinkel, mal an dem anderen. Das Puzzle setzt sich nach und nach zusammen und teilweise rätselt man, wer nun die Wahrheit sagt, Marc oder Sarah. Das hat der Autor schon geschickt arrangiert. Gleichzeitig ist äußerst interessant zu lesen, wie unterschiedlich beide Figuren sich in den Vernehmungen verhalten. Mich hat auch der Einblick in die Vernehmungspraxis von Bianca und Peter begeistern können, die versuchen, die Loyalität zwischen Marc und Sarah aufzubrechen und einen Keil zwischen sie zu treiben, sie zu verunsichern. Die Ermittler wenden geschickt Gesprächsstrategien an, um den Druck immer weiter zu erhöhen. In der anschließenden Innensicht zeigt sich dann wieder, welche Wirkung die Vernehmung auf die beiden Verdächtigen hat und wie beide dann wieder taktieren. Ein Kompliment an den Autor für diese erzählerische Gestaltung!
Auch die psychische Entwicklung der Figuren lässt Linus Geschke nicht außer Acht. Wir sehen, wie sich der Zustand beider Figuren im Laufe der Vernehmung verschlechtert. Der psychische Druck auf beide nimmt immer mehr zu, auch weil der eine nicht weiß, was der andere erzählt. Beide versuchen ein Geheimnis aus der Vergangenheit zu bewahren, das sie verfolgt. Wer mehr herausfinden möchte, lese diesen lesenswerten Thriller.
Auch die übrigen Komponenten eines gelungen Thrillers findet man bei „Das Loft“. Wir haben ein spannendes Finale (ab S. 299), bei dem man das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann. Und es gibt eine Überraschung am Ende, die es in sich hat und die schlüssig ist. Das einzige, was mir zu den fünf Sternen fehlt, ist der Umstand, dass die Spannungsintensität noch höher hätte ausfallen können. Der Thriller bewegt sich für mich auf einem sehr guten, aber nicht auf einem herausragenden Niveau. Und auch ein paar mehr überraschende Wendungen hätten es noch sein dürfen. Sonst habe ich aber absolut nichts auszusetzen.

Fazit: Ein Thriller, der durch seine erzählerische Gestaltung besticht, durch die Charakterzeichnung und die Ausgestaltung der Beziehungsverhältnisse zwischen den Figuren, das Spannungsniveau aber ist „nur“ sehr gut, nicht herausragend, knapp an den fünf Sternen vorbei! Klare Leseempfehlung!