Bewegend und verstörend

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krimielse Avatar

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Mit weit aufgerissenen Augen, fast kindlich wie die kleine Protagonistin, verfolgt man als Leser die Geschichte, die vom Überleben und Flüchten in Europa erzählt. Der Ort ist unwichtig, die Nationalität ist egal, die Vergangenheit spielt keine Rolle, sondern das Hier und Jetzt mit der Suche nach Essen, Unterkunft aber auch Freiheit steht im Fokus.

Erzählt wird ein kleiner Abschnitt im Leben eines 6-jährigen Mädchens, das auf der Straße lebt, hungrig und durstig ist, nicht weiß, woher sie kommt, die Sprache nicht spricht und eine fest verankerte Angst vor der Polizei hat. Es ist kalter Winter und sie ist allein. Sie landet im Heim und flieht in der Nacht mit zwei Jungen, die genau wie sie einsame Straßenkinder auf der Flucht sind.

Als Leser wird man in dieses Szenario katapultiert wie in ein überraschendes Gewitter. Michael Köhlmeier schafft es, von Anfang an Verwirrung und Verstörung durch kurz gefassten prägnanten und recht unpersönlichen Schreibstil zu stiften. Es formen sich viele Fragen nach dem Hintergrund, die aber ganz bewusst nicht beantwortet werden.

Die Geschichte ist wie ein Blitzlicht, das die Flucht des kleinen Mädchens unverblümt beleuchtet, traurig und mitleiderregend, gleichzeitig bewundernd und lebensbejahend. Man ist beim Lesen allein gelassen mit allen Fragen, Ängsten und mit all der gestifteten Verwirrung, doch das ist gut so.
Ganz leise regt sich am Ende Hoffnung und Bewunderung dafür, dass die Kleine tapfer allem Unbill entgeht und dass es im Leben auch große Freude über sehr Ursprüngliches geben kann.

Für mich ist der Kurzroman bezeichnend dafür, wie sich Menschen auf der Flucht und in fremden Umgebungen fühlen müssen, wie gleichgültig im Alltag weggesehen wird und dass angebotene Hilfe oft etwas Forderndes und Eigennütziges hat.