Das Mädchen mit dem Fingerhut

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Vom Umfang her ist dieses Büchlein mit seinen nur 140 Seiten perfekt geeignet für einen verregneten Sonntagnachmittag auf der Couch, vom Inhalt wiegt es jedoch schwerer als so mancher "Wälzer".
Die Sprache ist wohl bewußt einfach und knapp gehalten, manchmal besteht ein Satz nur aus wenigen, schwerwiegenden Worten.
Die Geschichte von dem kleinen, sechsjährigen Mädchen Yiza, spielt in irgendeiner europäischen Großstadt, auf die nicht näher eingegangen wird, es könnte jede beliebige Großstadt sein. Während unsere gleichaltrigen, wohlbehüteten Kinder zwischen Kindergartenalltag und zahllosen, teils unsinnigen, Freizeitaktivitäten jonglieren, geht es bei Yiza alleine ums nackte Überleben. Sie ist selbst für sich verantwortlich und muß sich alleine um Essen, Kleidung und einen warmen Schlafplatz kümmern, der strenge Winter kommt noch erschwerend hinzu. Das Mädchen entwickelt dabei Strategien und Fähigkeiten, die weit über die Fähigkeiten ihrer Altersgenossen hinausgehen. Es weiß genau, wem es vertrauen kann (nämlich Gleichgesinnten) und wem nicht. Eine längerfristige Perspektive für ihr Leben gibt es nicht, vielmehr ist sie vollauf damit beschäftigt, ihr Überleben zu sichern. Der Vorteil des Mädchens ist, daß sie hübsch und klein ist, dadurch fällt es ihr leichter, an Lebensmittel oder Geld zu kommen als ihren beiden Freunden, die Menschen haben mit ihr Mitleid.
Richtig traurig stimmt mich der letzte Satz "Die Freunde, das sind eine Horde von Zerlumpten, die bereits zu alt sind für Mitleid und Rührung."
Ob der Autor bei der Arbeit an diesem Buch schon gewußt hat, welche Bedeutung dieser Geschichte in unserer Zeit zukommt, weiß ich nicht. Ob er die Flüchtlingsproblematik bereits erahnt hat, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall ist ihm ein wirklich gutes Werk gelungen, das zum Nachdenken anregt und mit wenigen Worten, gut gewählten Worten, sehr viel aussagt.
Das Cover erinnert mich an "Das Mädchen mit den Perlenohrringen".