Emotionslos und doch so berührend

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elke seifried Avatar

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" Das Mädchen mit dem Fingerhut " von Michael Köhlmeier erzählt die fiktive Geschichte eines sechsjährigen Mädchens, das alles verloren hat und eine neue Heimat sucht. Sie ist eines von drei Kindern in einer Welt, die nichts von ihnen wissen will. Eine Art modernes Märchen, das angesichts der Flüchtlingsströme aktueller nicht sein könnte und tief berührt. Für mich steht Yiza für eines der sicherlich zahlreichen Flüchtlingskinder, die bei ihrer Flucht irgendwo verloren gegangen sind.

Die Geschichte beginnt damit, dass das Mädchen von einem Mann, den sie Onkel nennen soll, morgens stets am Markt abgesetzt wird, sich tagsüber ihr Essen erbetteln muss und abends pünktlich wieder abgeholt wird. Das Mädchen kennt weder den Onkel, noch die Sprache, die hier gesprochen wird. Sie weiß nicht einmal ihren eigenen Namen. Nach einigen Tagen kommt jedoch abends kein Onkel mehr, der sie abholt und sie muss sich alleine durch die eiskalte Winternacht kämpfen. Wenig später wird sie aufgegabelt und landet in einem Kinderheim. Dort lernt sie Schamhan, endlich jemand der ihre Sprache spricht, und Arian kennen. Die beiden taufen sie auf den Namen Yiza. Im Glauben Freunde gefunden zu haben, flieht sie gemeinsam mit den beiden Jungen und ein harter Überlebenskampf beginnt.

Die Geschichte hat mich von Anfang an tief berührt. Das Kind, wie das Mädchen anfangs emotionslos genannt wird, leidet und ich als Leser habe mit ihr gelitten. Die Hilflosigkeit, wenn man die Sprache nicht versteht, der Hunger und die Orientierungslosigkeit sind mehr als deutlich zu spüren. Wie hungrig muss man sein, wenn man eine Bananenschale aus dem Container abnagt, wie kalt muss es nachts sein, wenn man sich sogar mit Müll zudeckt? Ich bin eigentlich jemand dem Diebstahl, Einbruch und jegliche Art von illegalem Handeln sehr zuwider ist. Aber hier musste ich meine Einstellung mehr als einmal infrage stellen. Einbruch um sich in einer warmen Wohnung aufzuwärmen, die nassen Kleidungsstücke zu trocknen und sich den leeren Magen zu füllen, kann man das wirklich so generell verurteilen? Außerdem habe ich mir beim Lesen stets die Frage gestellt, zieht man einen warmen, trockenen Unterschlupf und ausreichend Essen einem menschlichen Halt vor? Was ist wichtig für ein verloren gegangenes Mädchen?

Den Schreibstil des Autors kann ich mit nichts bisher Gelesenem vergleichen. Ich habe noch nie eine solch emotionslos erzählte Geschichte, die so gut wie nur aus extrem kurzen Sätzen besteht und ohne jeglichen Schnörksel auskommt, gelesen, die mich trotzdem oder eben gerade deshalb so derart tief berührt hat. Die Geschichte von Yiza wird schonungslos und authentisch erzählt. Man fühlt sich als Leser einfach nur hilflos, würde so gerne helfen.

Ich habe die 140 Seiten, die diese Geschichte erzählen, gefesselt in einem Rutsch gelesen. Bis auf ein zwei kleine Längen war ich wirklich gefesselt und bleibe nach dem Lesen betroffen und nachdenklich zurück. Das Mädchen mit dem Fingerhut hat meiner Meinung noch seine 5 Sterne verdient.