Auf einen starken Beginn folgen ein schwacher Mittelteil und Schluss.

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Zum Inhalt: Nach dem Tod seiner Eltern ist Richard, der erst vierzehn Jahre alt ist, erst vor kurzem ins verschlafene Nest Ballantyne gezogen, in dem nie etwas los ist. Eines Tages geht er mit seinem einzigen Freund Tom, da beide zur untersten Kaste in der Hackordnung der Schule gehören, hinunter zum Fluss zum Spielen. Dort möchte Richard feststellen, ob die von ihm geklaute Luke Skywalker Figur untergeht oder schwimmen kann, wenn sie im Fluss versenkt wird. Im Anschluss daran wird Tom von Richard zu einem Telefonstreich überredet, als die beiden auf dem Nachhauseweg an einer einsam gelegenen Telefonzelle vorbeikommen. Für den Anruf wählt Richard Imu Jonasson aus, der ihm wegen seines ungewöhnlichen Namens im Telefonbuch auffällt. Doch was nur als harmloser Telefonstreich gedacht war, erhält eine grausame Wendung, wenn das Grauen seinen Lauf nimmt.

Zum grundlegenden Aufbau und Vergleich mit Vertrauensübung von Choi

Das Nachthaus von Jo Nesbø, das wohl am ehesten als Thriller einzuschätzen ist, ist in drei Teile gegliedert. Sein prinzipieller Aufbau - insbesondere im Übergang zwischen dessen ersten und zweiten Teil - hat mich ein wenig an die Vertrauensübung von Susan Choi erinnert, die mit dem National Book Award ausgezeichnet worden ist, obgleich diese einem ganz anderen Genre zuzuordnen ist. Wo mich Choi in ihrem Roman noch mit dem diesem zugrunde liegenden Konstrukt zu überzeugen wusste, das auch bedingt durch den zwischen den verschiedenen Teilen erfolgenden Wechsel der Perspektive letztlich zu einer ganz anderen Konklusion als im Nachthaus geführt hat, da der Mittelteil ihres Romans stärker als dessen Beginn ausgefallen ist, ist das Nesbø zumindest bei mir leider nicht gelungen. Der in unterschiedliche Teile gegliederte Aufbau des Nachthauses schien mir mehr um seiner selbst willen zu geschehen, als dass der Autor insbesondere in dessen zweiten Teil tatsächlich der von ihm ersonnenen Handlung neue Aspekte hinzuzufügen hätte, statt die bisherige Geschichte lediglich zu variieren.

Auf einen starken Beginn folgen ein schwacher Mittelteil und Schluss.

Indem ich den ersten Teil des Nachthauses als stärksten empfunden habe, sind mir die Wendungen in dessen weiteren Verlauf zu gewollt erschienen. Diese haben auf mich eher als Twists gewirkt, die allein wegen deren Überraschungseffekt in die Handlung integriert worden sind, wenn die Geschichte des Romans sich dadurch in eine gänzlich unerwartete Richtung entwickelt hat. Das ist zwar einerseits gekonnt vom Autor geschrieben, da Hinweise auf künftige Twists zuvor eingestreut und damit angedeutet worden sind. Andererseits hat Nesbø im zweiten und gerade im dritten Teil ausführliche Erklärungen nachzuschieben, um die unerwarteten Wendungen seiner Geschichte zu erläutern und in sich schlüssig zu verargumentieren. Wenn für Twists ausufernde Erklärungen erforderlich sind, um sie für mich als Leser verständlich werden zu lassen und stimmig in die bisherige Handlung des Romans einbinden zu können, dann ist das für mich meist - so wie auch im Fall des vorliegenden Romans - ein Indiz dafür, dass die darin geschilderte Geschichte ihrem Aufbau nach wohl zu ambitioniert ausgefallen ist, wenn sie zu konstruiert geraten ist. Mir persönlich hat das in vielen Büchern der letzten Jahre Überhand genommen, dass gerade Krimis, aber auch Thriller nicht mehr ohne einen, zumeist jedoch mehrere zentrale Twists auskommen, die alles zuvor erzählte nochmals auf den Kopf stellen müssen. Auch ich mag Twists, falls sie gut umgesetzt sind und einen Mehrwert für die Handlung darstellen. Beispiele dafür sind im Horrorgenre The Sixth Sense oder The Others. Wenn ein Roman ohne entsprechende Wendungen stärker ausfallen würde - allein durch seine sonst stringent erzählte Geschichte, kann ich aber auch gut und gerne - so wie im Fall des Nachthauses - darauf verzichten.

Verbesserungsvorschläge zu den genannten Kritikpunkten

Weil mir der erste Teil des Nachthauses am besten gefallen hat, hätte ich mir gewünscht, dass Jo Nesbø von dem gewohnten Schema, an dem sich der grundlegende Aufbau von Krimis wie Thrillern in der Regel orientiert und das nicht ohne zentrale Twists auskommen kann, abgewichen wäre, wenn er auf seinen zweiten und dritten Teil verzichtet hätte. Stattdessen hätte der erste Teil weiter ausgearbeitet werden können. Das Nachthaus ist zwar bereits in der vorliegenden Form weniger gut für Zartbesaitete geeignet, indem der Roman einige brutal blutige Szenen enthält und auch vor Gewalt gegen Kinder - genauer gesagt Jugendlichen - nicht Halt macht. Allerdings hätte Nesbø seine dabei angezogene Handbremse lockern können, wenn er das Alter seines Protagonisten und wesentlicher Nebenfiguren schon zu Beginn des Romans ein wenig hochgesetzt hätte. Anstelle von 13- bzw. 14-jährigen Schülern hätten sich zumindest eher 17- bis 18-Jährige dafür angeboten, im Mittelpunkt der Handlung zu stehen.
Dann hätte Nesbø dem Horror im Nachthaus freien Lauf lassen können. Denn gerade in den stimmungsvoll geschilderten Szenen, in denen sich die Spannung stetig aufbaut und die von einer dazu passenden unheimlichen Atmosphäre untermalt werden, die mich gleich Ungutes ahnen ließ, konnte das Nachthaus mich überzeugen. Dabei hätte der Autor, falls der Beginn seines Romans stärker von ihm ausgebaut worden wäre und insgesamt mehr Raum bekommen hätte, sich näher mit relevanten Nebenfiguren auseinandersetzen können, indem deren Schwierigkeiten im Leben und deren Beziehung zu Protagonist Richard ausführlicher geschildert worden wären. Auch hätten weitere Reminiszenzen an Klassiker der Horrorliteratur oder Filme - wie beispielsweise an Jeepers Creepers - und zusätzliche Informationen zum titelgebenden Nachthaus wie etwa zu dessen Vergangenheit und zum mysteriösen Imu Jonasson eingebunden werden können. Denn mit dem Nachthaus und Imu sind Nesbø im ersten Teil seines Romans eine gruselige Location, die eine unheimliche Präsenz ausstrahlt, und ein starker Antagonist gelungen, über die ich gern mehr erfahren hätte.