Die Familie der Stadtneurotiker

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takabayashi Avatar

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Das attraktive Cover zeigt vier unterschiedliche Vögel, was sehr gut zum Titel "Das Nest" passt. Offensichtlich Sinnbild für die vier Geschwister Plumb - ziemlich "schräge Vögel", wie sich schnell zeigt. Vater Leonard Plumb - ein Selfmade Man - hatte sich etwas dabei gedacht, als er verfügt hatte, dass seine Kinder ihn nicht direkt nach seinem Tode beerben sollten, sondern erst am vierzigsten Geburtstag der jüngsten Tochter; sie sollten lernen, auf eigenen Füßen zu stehen, sollten sich nicht zu lebensuntüchtigen Nichtstuern entwickeln und das Geld nur als ein Zubrot ansehen. Allerdings hatte Leonard nicht voraussehen können, dass Cousin George, der den Fonds managte, dies so geschickt tat, dass die Summe sich vervielfachte.
Und auch sonst hatte die Taktik nicht funktioniert: Leo, Jack, Bea und Melody lebten in Erwartung des Fonds, den sie "das Nest" nannten, auf zu großem Fuße und verschuldeten sich zunehmend.
Leo hatte in jungen Jahren ein Literaturmagazin gegründet, war kreativ und engagiert bei der Sache, bis ihn die Arbeit zu langweilen begann. Er verkaufte sein Imperium, und brachte mit seiner jungen Ehefrau aus wohlhabender Familie sein Vermögen in rasantem Tempo durch. Mit Alkohol, Drogen, und auch vielen Frauen, als seine Ehefrau ihn zu langweilen begann.
Jack hat einen Antiquitätenladen, liebt den Luxus und beleiht hinter dem Rücken seines Ehemanns ihr gemeinsames Sommerhaus, denn sein Laden macht nur Verluste.
Bea lebt eher bescheiden und hat keine finanziellen Probleme, hatte als junge Schriftstellerin Erfolg mit einigen Erzählungen, die hauptsächlich vom Leben des von ihr bewunderten großen Bruders Leo handelten, kämpft aber nun schon seit über zehn Jahren mit einer Schreibblockade.
Melody, die Jüngste, hatte nur einen mittelmäßigen Bürojob, bevor sie Walter heiratete, schwanger wurde und Zwillinge gebar. Von diesem Zeitpunkt an wurde sie eine hingebungsvolle Mutter, die stets nur das Beste für ihre Kinder wollte: die Familie bewohnt auf ihr Drängen hin ein viel zu teures Haus, die Töchter, die sie zwanghaft kontrolliert, sollen an den besten (und deshalb naturgemäß auch teuersten) Colleges studieren.
Und dann passiert ein von Leo verschuldeter Unfall, bei dem die junge mexikanische Kellnerin schwer verletzt wird, die der gelangweilte, unter Einfluss von Alkohol und Koks stehende Leo bei der Hochzeitsfeier eines Verwandten abgeschleppt hatte.
Da greift Francie, die Mutter der Geschwister ein, die nie eine gute Mutter war. Sie handelt nicht aus mütterliche Fürsorge, sondern aus Sorge um den Namen der Familie, der bei Bekanntwerden dieser Geschichte von der Presse in den Schmutz gezogen würde. Sie hat als Einzige bei einem familiären Notfall die Berechtigung, an "das Nest" heranzukommen, und nutzt den Großteil des Geldes dafür, das Schweigen der Kellnerin durch eine großzügige Abfindung zu erkaufen.
Die restlichen Geschwister befinden sich in heller Aufregung: Leo muss ihnen das Geld zurückgeben. Der Zeitpunkt der Auszahlung naht, Melodys vierzigster Geburtstag steht vor der Tür.
Der Roman ist sehr flott, witzig und bissig geschrieben, bei der Beschreibung ihrer Charaktere kommt keiner der vier Plumbs besonders gut weg. Sie sind versnobt, unreif, unselbständig und in unterschiedlichem Maße rücksichtslos. Jeder hat vorrangig seine eigenen Interessen im Auge, hat den tiefsitzenden Anspruch auf das Familienvermögen, man hat Kontakt zu den Geschwistern, aber sieht sie nicht als Freunde an.
In jedem Kapitel steht immer wieder eine andere Person im Mittelpunkt, teilweise auch Nebenfiguren, so dass sich einem allmählich das gesamte Plumb-Universum erschließt.
Man schüttelt zwar als Leser häufig den Kopf, folgt den Figuren aber trotzdem gerne bei ihren diversen Machenschaften und findet sie nicht total unsympathisch. Die große Familienkrise führt zu einem gewissermaßen verspäteten Erwachsenwerden der Geschwister und schweißt die Familienbande wieder etwas enger zusammen.
Ein toller Debutroman, ein großer Wurf! Die Autorin beschreibt und entlarvt eine gewisse Schicht der amerikanischen Gesellschaft, die Intelligenzia und Glitterati, die Welt von Woody Allen, im engeren Sinne die New Yorker Schickeria.
Gegen Ende konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen, habe mir die Nacht um die Ohren geschlagen, bis ich fertig war. Ein großes Lesevergnügen!