Naturforschung meets Politjournalismus

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In diesem ungewöhnlichen Buch trifft der Politikjournalist Boris Herrmann in mehreren, thematisch sortierten Interviews auf das sogenannte Traumpaar der Naturforschung: Sarah Darwin, promovierte Botanikerin und Ururenkelin des Begründers der Evolutionstheorie Charles Darwin sowie ihr Ehemann Johannes Vogel, ebenfalls promovierter Botaniker und Direkter des Naturkundemuseums Berlin.

Den Interview-Stil empfand ich zunächst als ungewohnt, lernte ihn aber im Verlauf des Buches mehr und mehr zu schätzen: nicht nur werden die Anekdoten aus wirklich persönlicher Perspektive erzählt, sondern der Inhalt ist dadurch auch für Laien der Naturforschung verständlich aufbereitet. Informationen werden in Häppchen serviert und Herrmann fragt genau an den richtigen Stellen nach mehr Details oder Hintergründen.

Wer sich schon einmal mit dem menschengemachten Klimawandel, den Auswirkungen unseres Fleischkonsums oder der Renaturierung von Innenstädten befasst hat, wird an manchen Stellen bereits Bekanntes lesen. Gleichzeitig war (für mich) aber auch viel Neues dabei: spannend fand ich beispielsweise, welche zentrale Bedeutung die Sammlung von Eierschalen im Naturkundemuseum für das Verbot des Pestizids DDT hatte, was uns jahrhundertealte Vogelnester erzählen oder wie Ressourcenknappheit mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine zusammenhängen könnte.

Einige Vorstellungen wie Vogels Idee einer „Weltrettungsmaschine“ oder Darwins Vorschlag einer autofreien Stadt Berlin wirken auf den ersten Blick utopisch, stellen aber nach eingehender Erklärung eine gar nicht so unrealistisch erscheinende, erstrebenswerte Zukunftsperspektive dar. Immer wieder taucht die Frage auf, wie politische Mehrheiten erzielt werden können oder ob dies gar ohne politische Mehrheit erreicht werden kann. Als Positivbeispiele werden hier beispielsweise der Biodiversitätsplan der Stadt Paris, die Einführung eines Rauchverbots in Innenräumen oder der Anschnallpflicht genannt - nahezu revolutionäre Ideen gegen politischen Widerstand, die wir heute als selbstverständlich betrachten.

Diese Verknüpfung von Naturforschung und Politik mochte ich besonders und obwohl ich mir an manchen Stellen mehr Tiefe gewünscht hätte, bleibt vor allem im Gedächtnis, wie viel Liebe Darwin und Vogel für die Natur empfinden - beide sehen der erschreckenden Realität ins Auge und beschönigen nichts, verlieren aber gleichzeitig nicht die Hoffnung und setzen sich aktiv für eine lebenswerte Zukunft ein. Bei „Das Parlament der Natur“ handelt es sich nicht um ein Lehrbuch, sondern vielmehr um ein Plädoyer für die Wertschätzung der uns umgebenden Natur und unserer natürlichen Ressourcen, auch in Zusammenhang mit den politischen Krisen der Gegenwart.

Das Buch ist wunderschön und optisch ansprechend gestaltet und enthält zahlreiche Fotos. Es handelt sich gleichzeitig um eine Hommage an das Naturkundemuseum Berlin, das ich nun zeitnah besuchen möchte - offenbar handelt es sich nämlich nicht um ein „verstaubtes Museum“, sondern um eine Ausstellung, die Räume für Dialoge eröffnet und den Blick auf die Zukunft richtet.

Ich kann das Buch sehr empfehlen, um den eigenen Horizont zu erweitern!