Großartige Familiengeschichte

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elfe1110 Avatar

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Valery Tscheplanowa hat mit diesem Roman ihr beeindruckendes Debüt gegeben und ich hoffe sehr, dass wir in Zukunft noch ganz viel von ihr lesen dürfen!

Die Autorin lenkt aus der Perspektive der Urenkelin Wanja den Blick auf die Frauen in ihrer (autobiographisch geprägten, fiktiven) Familie. Da ist die Urgroßmutter Tanja, die Zeit ihres Lebens ihre Haare für ihr Totenkissen sammelte und Wanja heimlich taufen lässt. Ihre Tochter Nina, die schon als kleines Mädchen die Härte des Lebens, des Krieges erfahren und „anpacken“ musste und die diese Härte nie ganz aus ihrem Leben verbannen konnte. Deren äußere Hülle, die geblähten Nasenflügeln, der kirschrot geschminkte, verbissene Mund, die strenge Haltung jedwede Wärme und Emotionen scheinbar abprallen lassen. Lena, Ninas Tochter und Wanjas Mutter, die der Enge entkommen will und als junge, alleinerziehende Mutter mit einem Alleinunterhalter 1988 in das vermeintliche „Paradies“ Deutschland geht. Um dort in einem maroden, grauen Haus direkt an der B77 zu stranden. Und schließlich Wanja, die sich nun, nach dem Tod der Großmutter, auf Spurensuche begibt und in die Heimat nach Kasan reist.

Vier starke Frauen, die Männer nur Randerscheinungen, die immer im Schatten hinter den Protagonistinnen bleiben. Frauen, die sich im 20. und 21. Jahrhundert in ihrem bescheidenen Leben behaupten mussten. Mir hat dieser Roman wahnsinnig gut gefallen und mich emotional tief berührt. Viele kleine, ergreifende Geschichten lassen die Härte der Umstände erahnen, im kommunistischen Russland, in den Wirren des Krieges, in Mangel und Verzicht. Und doch sind da immer wieder die kleinen, hellen, lichten Momente, die ein Lächeln hervorlocken, die eine Umarmung ersehnen oder auch einen tiefen Seufzer. Etwa die Szene, in der Lena für Eier Schlange stehen muss oder die heimlichen Treffen mit einem Patienten im Prothesenwerk.

Valery Tscheplanowas Sprache ist bildgewaltig und gleichzeitig sehr ruhig und poetisch. Als Leserin kann man gar nicht anders als ganz tief in diese hochemotionalen Episoden einzutauchen – auch wenn den Protagonistinnen vermeintlich die Emotionen fehlen. Mir sind die vier Frauen sehr ans Herz gewachsen und dieser Roman zählt für mich persönlich zu meinen Lesehighlights. Ganz, ganz große Leseempfehlung!