eine ausgefallene Geschichte einer exzentrischen alten Dame

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maesli Avatar

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1922: 10 Personen befinden sich auf einem Luxusschiff, das von St. Petersburg über den Finnischen Busen nach Westen fahren wird. Die Passagieren sind Intellektuelle, Philosophen, Wissenschaftler und Künstler, die auf Anordnung der jungen russischen Regierung ausgewiesen wurden. Sie könnten dort der Revolution gefährlich werden; wie ist nicht ganz klar, aber dennoch könnte eine Gefahr von ihnen ausgehen. Unter ihnen befindet sich als einzige Jugendliche die 14jährige Anouk mit ihren Eltern.
Zu Ehren des 100. Geburtstages von Frau Prof. Anouk Perleman-Jacob wird im Mai 2008 in Wien ein Abendessen veranstaltet, zu dem auch Michael Köhlmeier eingeladen ist, auf ausdrücklichen Wunsch der Jubilarin. Sie hat ihn sich ausgesucht, damit einer über ihre Erinnerungen schreibt, dem man nicht glaubt.

Meine persönlichen Leseeindrücke
Hier ist es also, das Werk des windigen Autors Michael Köhlmeier, der Dinge erfindet, die wahr sein könnten. Auch ich gehe ihm auf den Leim und google doch tatsächlich ob es Anouk Perleman-Jacob wirklich gab! „Jetzt hat er mich,“ denke ich,“ führt mich geschickt hinters Licht und schummelt sich eine Wahrheit zusammen, die ich ihm nicht nur abkaufe, sondern mit Genuss lese.“

Der eher kurze Roman ist geschickt aufgebaut. Da gibt es zum einen die Rahmenhandlung, in der Anouk Perleman-Jacob auf den Schriftsteller trifft, ihn in ihr Haus einlädt und dazu überredet, ein Buch über eine Geschichte aus ihrer Kindheit zu schreiben. Zum anderen gibt es die Erinnerungen an ihre jungen Jahre und die Fahrt mit dem Philosophenschiff, prall gefüllt mit hochinteressantem geschichtlichen Wissen und Sprichwörtern und russischer Weisheiten, die ich mir alle aufgeschrieben habe, weil ich sie bestimmt einmal gebrauchen kann.
Sprachlich flott und salopp erzählt Köhlmeier über die Treffen mit der Stararchitektin, dieser Hundertjährige, der man wenig vormachen kann und die es faustdick hinter den Ohren hat. Nüchtern und prägnant erzählt sie über den bolschewistischen Terror und den Wirrungen ihrer Kinder- und Jugendjahre, benennt Akteure, Sieger und Besiegte, Freunde, Überlebende und Getötete.

Und wie schon bei „Frankie“ bin ich überrascht vom Ende, das genauso ist, wie es Anouk Perleman-Jacob vom Schriftsteller verlangt hatte:
„Aber vergessen Sie nicht, wer Sie sind: Sie sind der, dem man glaubt, wenn er lügt, und nicht glaubt, wenn er die Wahrheit sagt.“

Fazit
Das Philosophenschiff von Michael Köhlmeier ist eine ausgefallene Geschichte einer exzentrischen alten Dame, die dem russischen Revolutionsterror entfliehen musste, um niemals mehr zurückzukehren, wo ihre Eltern einst ein geachtetes Leben führten.