Eine faszinierende Vergangenheitsbewältigung

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anana Avatar

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„Ganz gleich, ob wir diese Schifffahrt überleben oder nicht, wir sind tot. Nichts an uns wird jemals sein, wie es war, nichts an uns wird je wieder lebendig werden.“

Michael Köhlmeier hat mit „Das Philosophenschiff“ ein durchaus faszinierendes Verwirrspiel über Wahrheit und Lüge vorgelegt, welches sich im Rahmen einer spannenden Zeitreise entfaltet.

Zu ihrem 100. Geburtstag lernt die preisgekrönte Architektin Anouk Perleman-Jacob einen Schriftsteller kennen und bittet ihn darum, ihr Leben als Roman zu erzählen. Und dieses Leben hat es in sich: Geboren in St. Petersburg, erlebte sie den bolschewistischen Terror und wurde als junges Mädchen mit ihren Eltern auf einem der sogenannten „Philosophenschiffe“ ins Exil deportiert. Doch warum wählt sie für das Verfassen ihrer Lebensgeschichte einen windigen Schriftsteller aus, der im Ruf steht, Dinge zu erfinden und dann zu behaupten, dass sie wahr seien?

Als Leser ist man somit gleich mit zwei unzuverlässigen Erzählern konfrontiert: Da ist zum einem die in ihrem Bericht auch Auslassungen, Unwahrheiten und Halbwahrheiten einfließen lassende Anouk, die gar kein Interesse daran hat, dass man ihr glaubt. Und zum anderen der sich nicht allzu sehr der Wahrheit verpflichtet fühlende Schriftsteller, der das gehörte in einen Roman gießen will.

Ich empfand das damit einhergehende stetige Hinterfragen des Gelesenen und das daraus folgende wiederkehrende Googeln noch Orten, Persönlichkeiten und Ereignissen als äußerst interessant und Horizont erweiternd. Auch wird deutlich, wie vielschichtig und langwierig die Verarbeitung traumatischer Ereignisse ist.

Abzug in der B-Note gibt es lediglich dafür, dass ich mir noch etwas mehr Nähe zu beiden, oder zumindest einer der beiden Protagonisten gewünscht hätte. Dennoch habe ich „Das Philosophenschiff“ mit Gewinn gelesen.